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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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er stellt die Kanne mit einem Knall ab, hält die Arme steif an den Seiten, während er in Gedanken das hebräische Alphabet aufsagt, um den Wunsch zu unterdrücken, die Kanne gegen die Wand zu schleudern.
    Aleph, Beth, Gimel, Daleth …
     
    Yvonne kam in die Küche und sah Staffan mit geschlossenen Augen über die Spüle gebeugt stehen.
    »Was ist los?«
    Staffan schüttelte den Kopf. »Nichts.«
    Lamed, Mem, Nun, Samesh …
    »Bist du traurig?«
    »Nein.«
    Koff, Resh, Shin, Taff. So. Besser.
    Er öffnete die Augen, zeigte auf die Teekanne.
    »Das ist ja vielleicht eine miese Teekanne.«
    »Sie ist mies?«
    »Ja, sie … sie tropft.«
    »Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
    »Jedenfalls tropft sie.«
    »Die ist doch völlig in Ordnung.«
    Staffan kniff die Lippen zusammen, streckte die Hand, die er sich verbrannt hatte, Yvonne entgegen und machte eine Geste in ihre Richtung: Friede. Shalom. Sei still. »Yvonne. Ich habe gerade … unglaubliche Lust, dich zu schlagen. Also bitte: Rede nicht weiter.«
    Yvonne wich einen halben Schritt zurück. Etwas in ihrem Inneren war darauf vorbereitet gewesen. Sie hatte der Erkenntnis keinen Zugang zu ihrem Bewusstsein gewährt, aber dennoch geahnt, dass es in Staffans Kopf hinter der frommen Fassade die eine oder andere Form von … Wut gab.
    Sie verschränkte die Arme vor der Brust und atmete ein paarmal tief durch, während Staffan die Teetasse mit dem Deckel darin anstarrte. Dann sagte sie: »Kommt das öfter vor?«
    »Was?«
    »Dass du schlägst. Wenn dir etwas nicht passt.«
    »Habe ich dich geschlagen?«
    »Nein, aber du hast gesagt …«
    »Ich habe es gesagt. Und du hast auf mich gehört. Jetzt ist wieder alles in Ordnung.«
    »Und wenn ich nicht auf dich gehört hätte?«
    Staffan wirkte jetzt vollkommen ruhig, und Yvonne entspannte sich, senkte die Arme. Er nahm ihre Hände in seine, küsste ganz leicht ihre Handrücken.
    »Yvonne. Man muss aufeinander hören.«
    Der Tee wurde eingegossen, und sie tranken ihn im Wohnzimmer. Staffan nahm sich vor, nicht zu vergessen, Yvonne eine neue Teekanne zu schenken. Sie erkundigte sich nach der Fahndung im Judarnwald, und Staffan erzählte. Sie gab ihr Bestes, das Gespräch um andere Themen kreisen zu lassen, aber schließlich stellte er dann doch die unausweichliche Frage.
    »Wo ist Tommy?«
    »Ich … weiß nicht.«
    »Du weißt es nicht? Yvonne …«
    »Na ja, bei einem Freund.«
    »Hm. Wann kommt er nach Hause?«
    »Nein, ich glaube … er wollte dort übernachten.«
    »Dort?«
    »Ja, bei …«
    Yvonne ging innerlich die Namen von Tommys Freunden durch, die sie kannte, da sie ungern sagen wollte, dass Tommy nachts fort war, ohne dass sie gewusst hätte, wo er schlief. Staffan legte großen Wert auf die Verantwortung, die Eltern für ihre Kinder hatten.
    »… bei Robban.«
    »Robban. Ist das sein bester Freund?«
    »Ja, das ist er wohl.«
    »Wie heißt Robban denn weiter?«
    »… Ahlgren, wieso? Ist das jemand, mit dem du …«
    »Nein, ich habe nur überlegt.«
    Staffan nahm seinen Löffel und schlug ihn leicht gegen die Teetasse. Ein sprödes Klirren. Er nickte.
    »Schön. Also, hör mal … ich denke, wir sollten diesen Robban anrufen und Tommy bitten, kurz nach Hause zu kommen. Damit ich mich ein wenig mit ihm unterhalten kann.«
    »Ich habe die Nummer nicht.«
    »Nein, aber … Ahlgren. Du weißt doch sicher, wo er wohnt? Wir müssen doch nur im Telefonbuch nachschlagen.«
    Staffan stand auf, und Yvonne biss sich auf die Unterlippe und spürte, dass sie auf dem besten Weg war, ein Labyrinth zu errichten, und es immer schwieriger werden würde, wieder aus ihm herauszufinden. Er holte das örtliche Telefonbuch, stellte sich mitten ins Wohnzimmer, blätterte darin, murmelte:
    »Ahlgren, Ahlgren. Hm. In welcher Straße wohnt er?«
    »Ich … Björnsonsgatan.«
    »Björnsons … nein. Da gibt es keinen Ahlgren. Aber es gibt einen hier in der Ibsengatan. Könnte er das sein?«
    Als Yvonne nicht antwortete, legte Staffan den Finger ins Telefonbuch und sagte:
    »Ich denke, ich versuche es mal mit ihm. Dann heißt er sicher Robert, nicht?«
    »Staffan …«
    »Ja?«
    »Ich habe ihm versprochen, es nicht zu erzählen.«
    »Jetzt verstehe ich nur Bahnhof.«
    »Tommy. Ich habe ihm gesagt, ich würde nicht verraten … wo er ist.«
    »Also ist er gar nicht bei Robban?«
    »Nein.«
    »Wo ist er dann?«
    »Ich … ich habe es versprochen.«
    Staffan legte das Telefonbuch auf den Couchtisch, setzte sich neben Yvonne auf die Couch.

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