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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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ruhig … du hast leicht reden, hockst einfach da draußen herum und …«
    Oskar ging in sein Zimmer, legte sich aufs Bett und presste die Hände auf die Ohren. Das Blut rauschte in seinem Kopf.
    Als er zum Krankenhaus gekommen war, hatte er anfangs geglaubt, dass die ganzen Menschen, die dort herumliefen, etwas mit dem zu tun hatten, was er mit Jonny gemacht hatte. Wie sich herausstellte, war dem nicht so. Heute hatte er zum ersten Mal in seinem Leben einen toten Menschen gesehen.
    Mama öffnete die Tür zu seinem Zimmer. Oskar nahm die Hände von den Ohren.
    »Dein Papa möchte mit dir sprechen.«
    Oskar legte den Hörer ans Ohr und hörte eine ferne Stimme, die Namen von Leuchttürmen und Windstärken, Windrichtungen herunterleierte. Er wartete mit dem Hörer am Ohr, ohne etwas zu sagen. Mama runzelte fragend die Stirn. Oskar legte die Hand auf den Hörer und flüsterte: »Der Seewetterbericht.«
    Mama öffnete den Mund, um etwas zu sagen, seufzte dann aber nur und ließ die Hände sinken. Sie ging in die Küche. Oskar setzte sich auf den Stuhl im Flur und lauschte gemeinsam mit seinem Vater dem Seewetterbericht.
    Er wusste, dass Papa von dem, was im Radio gesagt wurde, abgelenkt sein würde, wenn Oskar jetzt anfing zu sprechen. Der Seewetterbericht war seinem Vater heilig. Wenn Oskar bei ihm war, kam um 16.45 jegliche Aktivität zum Erliegen, und Papa setzte sich ans Radio, während er geistesabwesend auf die Felder hinausblickte, als wollte er kontrollieren, dass die Angaben aus dem Radio der Wahrheit entsprachen.
    Es war zwar schon lange her, dass Papa zur See gefahren war, aber es war eine Angewohnheit, die er niemals aufgegeben hatte.
    Almagrundet Nordwest 8, kommende Nacht westdrehend. Gute Sicht. Ålandmeer und Schärenmeer Nordwest 10, kommende Nacht Unwetterwarnung. Gute Sicht.
    So. Das Wichtigste war vorbei.
    »Hallo, Papa.«
    »Ah, du bist da. Hallo. Hier wird es Sturm geben diese Nacht.«
    »Ja, habe ich gehört.«
    »Hm. Wie geht es dir?«
    »Gut.«
    »Tja, Mama hat mir von der Sache mit Jonny erzählt. Das war natürlich nicht so toll.«
    »Nein. Das war es wohl nicht.«
    »Er hat eine Gehirnerschütterung, hat sie gesagt.«
    »Ja. Er hat gebrochen.«
    »Tja, das tut man dann oft. Harry … du bist ihm mal begegnet … er hat einmal das Senkblei gegen den Kopf bekommen und er … na ja, anschließend hat er gereihert ohne Ende.«
    »Ist er wieder gesund geworden?«
    »Ja klar, das war … na ja, letztes Frühjahr ist er allerdings gestorben. Aber das hatte natürlich nichts damit zu tun. Nein. Er war ziemlich schnell wieder auf dem Damm.«
    »Ja.«
    »Wir wollen hoffen, dass für diesen Jungen das Gleiche gilt.«
    »Ja.«
    Das Radio leierte weiter die Meeresabschnitte herunter; Bottnischer Meerbusen und was noch alles. Mehrmals hatte er mit einem Atlas vor sich bei Papa gesessen und mit dem Finger die Leuchttürme verfolgt, die nacheinander erwähnt wurden. Eine Zeit lang konnte er alle Orte in der richtigen Reihenfolge auswendig, aber inzwischen hatte er sie vergessen. Papa räusperte sich.
    »Also, Mama und ich haben darüber gesprochen, ob … ob du vielleicht Lust hast, dieses Wochenende zu mir zu kommen.«
    »Mmm.«
    »Dann könnten wir uns über die Sache unterhalten und über … alles.«
    »Dieses Wochenende?«
    »Ja. Wenn du Lust hast.«
    »Ja. Aber ich habe nicht so viel … und wenn ich Samstag komme?«
    »Oder Freitagabend.«
    »Nee, aber … Samstagmorgen.«
    »Ja klar, klingt doch toll. Dann werde ich wohl eine Eiderente aus der Gefriertruhe holen.«
    Oskar führte den Mund dichter an den Hörer heran und flüsterte: »Aber ohne Schrot.«
    Papa lachte.
    Als Oskar letzten Herbst dort gewesen war, hatte er sich auf einem Schrotkorn, das noch in dem Seevogel gesessen hatte, einen Zahn zerbissen. Mama hatte er gesagt, in einer Kartoffel sei ein Stein gewesen. Seevögel waren Oskars Leibgericht, während Mama es »unglaublich grausam« fand, die wehrlosen Vögel zu schießen. Dass er sich einen Zahn auf dem Mordinstrument kaputtgebissen hatte, konnte womöglich zu dem Verbot führen, etwas Derartiges zu essen.
    »Ich werde besonders gut nachsehen«, sagte Papa.
    »Läuft das Moped?«
    »Ja. Wieso?«
    »Nein, war nur so ein Gedanke.«
    »Ach so. Ja, es liegt ziemlich viel Schnee, wir können sicher eine Runde drehen.«
    »Gut.«
    »Okay, dann sehen wir uns am Samstag. Du nimmt den Bus um zehn?«
    »Ja.«
    »Dann komme ich dich abholen. Mit dem Moped. Das Auto ist nicht richtig in

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