So finster, so kalt
Kennzeichen.«
Merle rückte so unauffällig wie möglich ein wenig ab, um Jakobs Gesicht besser beobachten zu können. Der nickte wieder, dieses Mal zur Bestätigung. »Das ist völlig richtig. Wir haben uns unterhalten, und ich habe Sie nach dem Weg gefragt. Von Schleichen kann allerdings keine Rede sein.«
»Was hast du mit meinem Kind gemacht?«, fuhr Nicole dazwischen und wäre auf ihn zugeschossen, wenn nicht der Sanitäter und Felix sie gleichzeitig zurückgehalten hätten. Sie versuchte, sich zu entwinden, und spuckte in Merles und Jakobs Richtung, was die beiden Männer veranlasste, fester zuzupacken.
Der Einsatzleiter trat auf Jakob zu. »Korrigieren Sie mich, wenn ich das falsch verstehe: Waren Sie am Montagabend, dem Abend, an dem die Kinder verschwunden sind, hier?«
»Aber ja. Ich bin gegen siebzehn Uhr hier eingetroffen.« Jakob schaute zu dem Pfarrer, der bestätigend nickte.
»Warum?«
»Ich bin ein Freund von Merle Hänssler und wollte mir das Haus ihrer Großmutter Margarete ansehen.«
Merle erstarrte innerlich und hoffte, dass man ihr das nicht anmerkte. Er hatte
was
getan?
Der Einsatzleiter deutete mit dem Kinn auf Merle. »Können Sie das bestätigen?«
»Nein, ich wusste davon überhaupt nichts. Ich bin selbst gestern Abend erst hier angekommen.« Sie merkte, dass Jakob sich versteifte, als hätte er auf eine andere Antwort gehofft. Aber was hätte sie denn sagen sollen? Sie war von seiner Aussage ebenso überrascht wie alle anderen.
»Was für feine Freunde, so passend zur Familie«, spie Lukes Mutter aus. Es klang kaum mehr menschlich.
»Nicole, bitte.« Ihr Mann war an sie herangetreten und versuchte, beruhigend auf sie einzureden und gleichzeitig die beiden Männer davon zu überzeugen, seine Frau freizugeben. Tatsächlich ließ der Sanitäter Nicoles Arm los. Auch Felix lockerte seinen Griff, gab aber zu verstehen, dass er jederzeit zupacken würde, falls Nicole erneut auf jemanden losginge.
Merle war ihm sehr dankbar dafür und nickte auch Nicoles Mann kurz und mitfühlend zu. Dieser wirkte zwar wesentlich besorgter, als es ihr aus der Ferne erschienen war, aber dennoch nicht wie ein trauernder Vater. Eher so, als wäre ihm die gesamte Angelegenheit lästig. Merle schauderte.
»Sie ist doch an allem schuld!«, schrie Nicole plötzlich wieder lauter und deutete mit dem Finger auf Merle. »Sie und die alte Hexe, die alle unsere Kinder verführt hat! Und wenn sie diesen Kerl da nur auf uns aufmerksam gemacht hat!« Der Finger wanderte von Merle zu Jakob. »Das Haus da oben ist nicht normal! Was habt ihr mit Luke gemacht? Ein satanisches Ritual?«
Der Einsatzleiter legte nachdenklich die Hand ans Kinn und wandte sich an Jakob, der den ganzen Zirkus äußerlich unbewegt verfolgt hatte. »Herr?«
»Doktor Jakob Wolff. Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Freiburg. In dieser Funktion habe ich Frau Hänssler kennengelernt, und vor demselben Hintergrund habe ich mir das alte Haus ansehen wollen, das Merles Großmutter bis zu ihrem Tod bewohnt hat.«
»Aha.« Die Antwort überforderte den Einsatzleiter.
Merles Aufmerksamkeit wanderte wieder zu Nicole, die jetzt laut schluchzend in den Armen ihres Mannes lag und kraftlos gegen seine Brust schlug.
Felix stand daneben, bereit, bei Bedarf zu reagieren.
Dann trat Björn zwischen den Einsatzleiter und Nicole. »Herr Wolff hat damit nichts zu tun. Nicole, jetzt lass endlich Merle in Ruhe, du hast genug angerichtet!«
»Ich habe
was?
«, kreischte diese auf. »Wie kannst du diese Schlampe verteidigen! Aber klar, du hast noch ein Kind, wenn sie mit Amelie und deiner Ronja fertig sind!«
In der darauffolgenden Stille hätte man eine Ameise husten hören können. Björn rührte sich nicht, doch Merle sah, wie sich seine Kiefermuskeln verspannten. Einen Augenblick lang erwartete sie, dass er Nicole ohrfeigen würde, doch dann wandte er sich an den Einsatzleiter. Er streifte Jakob mit einem traurigen Lächeln, bevor er erklärte: »Herr Wolff war den ganzen Abend Gast auf meinem Hof. Er hat mit uns gegessen, hat mit mir einen Rundgang durch die Ziegenställe gemacht, und anschließend haben wir ein Weizen getrunken. Sie können Sarah anrufen und sie fragen, sie war ebenfalls dabei, genau wie zwei meiner Angestellten. In der Zeit ist Ronja verschwunden. Wenn Herr Wolff etwas damit zu tun hätte, müsste er schon übernatürliche Fähigkeiten besitzen. Er hat sich an der Suche beteiligt, bis wir in der Nacht die Polizei
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