So finster, so kalt
aufgeregt hechelnde Spürhunde in ihre Boxen zu manövrieren. Beate drückte Merles Hand so fest, dass sie sie fast zerquetschte. »Es ist etwas passiert.«
Merle legte ihr den Arm um die Schulter und begleitete sie, als sie aufstehen und in Richtung Ausgang gehen wollte. Sie blieben seitlich der Doppeltür zum Gemeindesaal stehen und hatten von dort alles im Blick. Beate wollte nicht weitergehen. Das war auch nicht nötig, da Felix auf sie zukam. Er versuchte, eine dienstliche Miene aufzusetzen, doch sein Gesichtsausdruck wechselte zwischen Erleichterung und Schrecken.
Dann fuhr ein schwarzes Auto heran. Unwillkürlich zog Merle Beate an sich. Ein kleiner Zinksarg wurde ausgeladen.
Felix scherte sich nicht weiter um die Etikette, umarmte seine Tante und drückte sie fest an sich. »Sie haben Lukas Rötgen gefunden. Er ist … tot. Marie ist nichts passiert.« Das »Noch nicht« schwang seinen Worten allzu deutlich nach, ebenso wie allen klar war, dass er das gar nicht wissen konnte.
Beate schluchzte auf. Ein Sanitäter führte Nicole an den Krankenwagen. Sie schrie und schlug um sich. Ihre Attacken richteten sich dabei vor allem gegen einen Mann in Anzug und Krawatte, der aussah, als sei er gerade von einer Geschäftsreise zurückgekehrt. Und vielleicht war genau das der Fall. Es würde erklären, warum Merle Lukes und Amelies Vater bisher nicht begegnet war.
»Der Junge ist zerfetzt worden, wie von einem wilden Tier«, flüsterte Felix Merle so leise zu, dass Beate es nicht hören konnte. »Und dann hat sein Mörder ihn Ewigkeiten durch den Wald geschleift. Die Spurensicherung hat bisher noch nicht einmal den Tatort gefunden. Das muss wirklich ein total Wahnsinniger sein, der da herumläuft.«
Nur sehr langsam sickerte die Botschaft in Merles Bewusstsein, und sie drückte Beates Hand – mehr, um sich an irgendetwas festzuhalten und einen Menschen zu spüren. Tief im Inneren hatte sie es bereits gewusst. Sie hatte den Mord an Luke mit ansehen müssen! Der Versuch, sich einzureden, dass sie die Begegnung mit dem Jungen nur geträumt hatte, war von Beginn an zum Scheitern verurteilt gewesen.
Zusammenreißen, jetzt bloß nicht die Nerven verlieren!,
befahl sie sich lautlos. Daran, was erst los sein würde, wenn sie herausbekamen, dass der Junge in der Nähe ihres Hauses getötet worden war, wagte sie nicht zu denken. Sie suchte noch nach tröstlichen Worten, als jemand ihren Namen rief. »Merle?«
Sie erkannte seine Stimme sofort, ließ Beates Hand los und fuhr herum. Jakob war ein paar Meter entfernt unschlüssig stehen geblieben.
Merle winkte ihm, heranzukommen. »Sie haben gerade eines der Kinder gefunden«, raunte sie ihm zu.
Er legte wie selbstverständlich den Arm um sie, und Merle lehnte sich an ihn. Es war die Art und Weise, wie er sie hielt, behutsam schützend und doch nicht so, dass sie sich bedrängt oder vereinnahmt fühlte, die in ihr jegliche Verdachtsmomente verpuffen ließ. Wie hatte sie an ihm zweifeln können? Er war gekommen, weil sie ihn brauchte, und unterstützte sie genau so, wie es ihr guttat.
Lukes Mutter Nicole sollte oder wollte derweil zurück in den Gemeindesaal und wurde von dem Sanitäter begleitet. Ihr Mann blieb debattierend und gestikulierend mit einem weiteren Sanitäter und zwei Polizisten neben dem Krankenwagen zurück. Merle überlegte noch, wie sie der Frau aus dem Weg gehen konnte, fand aber auf die Schnelle keine Fluchtmöglichkeit. Sie fühlte sich elend und schuldig. Im Geiste sah sie die blutbesudelte Schnauze dieses unnatürlichen Rehs und Lukes leblose Gestalt, und ihr Magen zog sich zusammen.
Als Nicole mit Merle auf gleicher Höhe war, blieb sie stehen und gaffte sie sprachlos an. Dann schaute sie zu Jakob auf und wieder zurück. Plötzlich streckte sie den Zeigefinger aus und schrie: »Das ist der Mann!«
Alle starrten Jakob an, der verwirrt die Augenbrauen zusammenzog. Im Nu näherten sich von allen Seiten Menschen und bildeten einen Kreis. Björn, Pfarrer Kupferschmidt sowie ein weiterer Polizeibeamter, vermutlich der Einsatzleiter, waren unter ihnen.
»Wen meinen Sie, Frau Rötgen?«, fragte dieser nun.
»Der Mann hier, der Mann neben Frau Hänssler. Das ist der, der hier vorgestern durch das Dorf geschlichen ist! Er hat sogar denselben Rucksack dabei!«
Paul Kupferschmidt trat näher und musterte Jakob, der ihm freundlich zunickte, von oben bis unten. »Sie hat echt. Sie haben vorgestern hier geparkt. Mit einem Auto mit Freiburger
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