So finster, so kalt
gerufen haben und die das in die Hand nehmen wollten. Ich habe ihn daraufhin ins Dorf gefahren, und er ist mit dem Auto los. Ich nehme an, zurück nach Freiburg.«
»Alles richtig«, stimmte Jakob mit leiser Stimme zu.
Im Hintergrund beobachtete Merle, wie Herr Rötgen es mit Hilfe des Sanitäters schaffte, seine Frau zurück zum Krankenwagen zu begleiten, wo ein Arzt auf sie wartete.
»Was wollten Sie an Frau Hänsslers Haus, Herr Wolff?«, beharrte der Einsatzleiter.
»Das ist eine private Angelegenheit von Frau Hänssler.«
»Na, ich denke, für Privatsphäre gibt es hier im Moment wenig Raum«, mischte sich Pfarrer Kupferschmidt ein.
Jakob schoss ihm einen durchdringenden Blick zu. »Ich denke darüber ganz anders. Genauso gut könnte ich Sie fragen, was Sie gemacht haben, nachdem wir uns auf dem Marktplatz begegnet sind, und was es mit Ihrer obsessiven Beschäftigung mit einer Sage um eine wilde, kinderfressende Frau auf sich hat.«
»Kirchenmänner und Kinder sind tatsächlich ein heikles Thema«, murmelte da jemand hinter Merle in der Menge. Sie musste sich beherrschen, um nicht hysterisch zu kichern. Die gesamte Situation wurde zunehmend surreal. Sie glaubte plötzlich an Geister, sah unheimliche Rehe und jetzt auch noch Jakob. Jakob, dem sie nach seiner Ankunft für gefühlte zehn Sekunden vertraut hatte, bevor sie erfuhr, dass er sich ohne ihr Wissen auf ihrem Anwesen herumgetrieben hatte. Danach war die Tür zu ihrem Herzen mit einem lauten Donnern zugefallen. Alles andere passierte um sie herum und betraf sie doch nur am Rande.
»Das führt zu nichts.« Inzwischen hatte sich der Einsatzleiter auf seine Machtposition besonnen. »Frau Lehmann, Herr Dreher, es gibt keinen – ich betone: keinen! – Grund zu der Annahme, dass Ihre Mädchen nicht noch wohlauf sind und dass wir sie finden können. Ich kann zu diesem Zeitpunkt aus ermittlungstechnischen Gründen nicht ins Detail gehen. Wir sind noch dabei, weitere Spuren am Fundort von Lukas Rötgen zu analysieren. Doch es steht jetzt schon fest, dass mit Sicherheit keins der Mädchen auch nur in der Nähe war. Wir werden in einer Stunde mit der Suchaktion fortfahren. In der Zwischenzeit werde ich die Teams neu einteilen, da wir das zu durchsuchende Gebiet ein wenig verlagern. Sturm, nehmen Sie bitte die Personalien von Doktor Wolff auf.«
Felix nickte.
»Frau Hänssler, Sie halten sich bitte ebenfalls zu meiner Verfügung.« Der Einsatzleiter senkte die Stimme. »Machen Sie sich bitte keine Sorgen. Ich habe diese Hexenjagd von Frau Rötgen schon den ganzen Tag zu hören bekommen. Ich nehme das nicht ernst, aber vielleicht haben Sie noch Informationen, die uns weiterhelfen können.«
»Selbstverständlich. Ich werde tun, was ich kann. Machen Sie sich um mich keine Gedanken. Ich nehme das nicht persönlich. Jeder bewältigt Krisen auf seine Weise.«
Der Einsatzleiter nickte. »Arme Frau«, sagte er noch, wobei offenblieb, wen er meinte. Dann wandte er sich ab und verteilte weitere Anweisungen in verschiedene Richtungen. Die Menge verstreute sich, und Felix bedeutete Jakob und Merle mit einer Geste, dass er sich etwas zu schreiben besorgen wollte.
Jakob zog Merle am Ärmel etwas weiter vom Eingang fort. Er lächelte reumütig und wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, doch Merle ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Du hast das gerade so dargestellt, als ob ich damit einverstanden gewesen wäre, dass du mir hier nachspionierst. Ich habe nicht die geringste Lust, in deine dreckigen Angelegenheiten hineingezogen zu werden!«, fuhr sie ihn an.
»Ich wollte dir das erklären, sobald …«
»Was willst du von mir?«
»Von dir? Wie meinst du das?«
»Du treibst irgendein perverses Spiel mit mir. Ich habe inzwischen den Eindruck, dass du mich schon verfolgt hast, bevor wir uns das erste Mal begegnet sind. War das wirklich Zufall, dass du in Hamburg warst? Warum ist das Taxi gefahren, als du mich in der ersten Nacht nach Hause begleitet hast? Und warum willst du mir Schlaftabletten ins Wasser kippen? Ich frage noch mal: Was willst du von mir?«
Das Lächeln auf seinen Lippen war längst erloschen. Stattdessen glommen zornige Funken in seinen dunkelbraunen Augen, die so attraktiv auf Merle gewirkt hatten und die der Miene des Mannes jetzt eher beängstigende Züge verliehen. Sie bohrte sich einen Fingernagel in die Handfläche. Der Schmerz half ihr, sich auf ihre Wut zu konzentrieren.
»Wovon redest du?«, knurrte er endlich. »
Du
hast
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