So finster, so kalt
doch mit
mir
Kontakt aufgenommen, nicht umgekehrt! Du leidest unter Verfolgungswahn!«
»Dann erklär mir das alles!«
»Meine Güte, Hamburg hat über eine Million Einwohner. Warum sollte ich da niemanden kennen? Die Sache mit dem Taxi war … klar hab ich den Fahrer bezahlt, was denkst du denn? Ich hatte gehofft … Wenn du mich nicht eingeladen hättest, wäre ich eben zu Fuß gelaufen.«
»Und die Schlaftabletten?«
»Was für Schlaftabletten?«
»Du hattest die Packung in der Hand und wolltest mir welche ins Wasser schütten.«
Er wich ihrem Blick aus. »Ich wollte einfach eine Nacht durchschlafen. Du wolltest sie nicht freiwillig nehmen. Keine Ahnung, wie ich überhaupt auf den Gedanken gekommen bin. Ich war wohl selbst zu übermüdet, um klar zu denken. Aber wenn du das weißt, müsstest du auch wissen, dass ich es nicht getan habe!« Er schwieg und wirkte ein wenig trotzig.
Merle war sprachlos. Sie fragte sich kurz, ob es ihr lieber gewesen wäre, wenn er das alles nicht so offen zugeben würde. Dann könnte sie sich immer noch einreden, sich das alles einzubilden. Jakob hatte auf jede Frage eine mehr oder weniger plausible Antwort.
»Und mein Haus? Was hattest du hier vorgestern zu suchen?«
»Ich habe dir gesagt, wie neugierig ich bin. Du wolltest mich mindestens bis zum Wochenende nicht sehen. Also habe ich mir nach Feierabend gesagt, dass du nichts gegen einen kleinen Waldspaziergang haben wirst. Ich hatte vor, dir das sofort zu sagen, wirklich, Merle. Vor allem, nachdem ich Björn getroffen hatte. Das hättest du doch früher oder später ohnehin erfahren. Ich hätte sogar auf dem Dreherhof übernachtet, wenn hier nicht der Alarm losgegangen wäre.«
Seine letzten Worte holten Merle schlagartig wieder in die Wirklichkeit zurück. Das konnte alles warten.
Im gleichen Moment packte Jakob sie am Arm. »Merle«, sagte er eindringlich. »Ich habe das nicht gesagt, weil ich in dieser fürchterlichen Situation nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen wollte. Aber ich glaube, dass dein Haus oder deine Familie wirklich etwas mit den verschwundenen Kindern zu tun hat. Da stimmt was nicht. Als ich da war, war auch Ronja dort. Sie hat sich vor irgendetwas erschreckt. Du musst mir helfen herauszufinden, was das gewesen ist.«
Merle hätte ihm sagen können, dass das Mädchen vermutlich ein Reh gesehen hatte. Ein sehr seltsames Reh.
Wenn Herr Wolff etwas damit zu tun hätte, müsste er schon übernatürliche Fähigkeiten besitzen,
hatte Björn gesagt. Sie biss sich auf die Lippen, während sie vergeblich abzuwägen versuchte.
Der seltsame Satz, den Jakob in ihrer ersten Nacht zu ihr gesagt hatte:
Ich bin wie ein Vampir, wenn du mich einlässt, wirst du mich nicht mehr los.
Hatte der eine tiefere Bedeutung? War sein Name ein Hinweis? Es würde zu seiner Art von Humor passen, den Namen der Bestie in die Welt hinauszuposaunen und sich heimlich darüber zu amüsieren, dass niemand begriff, wer oder was er war. Merles Verstand weigerte sich, den Gedanken zu Ende zu denken, dass sie es womöglich mit einem weiteren Gegner zu tun hatte. Was hatte sie getan, als sie sich auf Jakob eingelassen hatte?
»Es hat ein wenig gedauert, Herr Wolff. Tut mir leid, dass Sie warten mussten.«
Bei Felix’ Worten zuckte Merle zusammen, während Jakob dem jungen Polizisten ein strahlendes Lächeln schenkte. Er neigte den Kopf, überreichte eine Visitenkarte und erklärte noch einmal ausführlicher und ohne Felix’ explizite Aufforderung, wie und was er an dem besagten Montagabend getan hatte. Und genau dieses Verhalten machte Merle misstrauisch: Der betont gerade Blick, mit dem er seinem Gegenüber in die Augen schaute; diese offene Auskunftsfreudigkeit. Vielleicht log er nicht. Doch sie war lange genug Rechtsanwältin, um zu erkennen, wenn jemand mehr als nötig darauf bedacht war, dass man ihm glaubte.
Das Smartphone in ihrer Jackentasche vibrierte. Erst wollte sie es ignorieren, doch dann fiel ihr ein, dass sie von ihrem Vater immer noch nichts gehört hatte. Statt seiner Nummer zeigte ihr Gerät jedoch eine fremde Festnetznummer an.
Merle überfiel eine böse Vorahnung. Am Ende ein Krankenhaus? Ob ihm etwas passiert war? Sie war üblicherweise keine Schwarzmalerin, aber in letzter Zeit meinte das Schicksal es nicht gut mit ihr.
Sie meldete sich.
»Guten Tag, hier spricht Polizeikommissar Töpfer. Frau Hänssler, ich muss Sie leider bitten, zu uns aufs Revier nach Schopfheim zu kommen.«
»Was ist passiert?«
»Das
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