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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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Augenblick legte er seine Hand auf ihr Knie. Besitzergreifend. Merle erschauderte. Ein Teil ihres Verstandes wollte empört sein. Die andere Hälfte flüsterte ein gefälliges: Endlich!
    Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst. Es könnte in Erfüllung gehen,
raunte ihr eine kleine unsichtbare Stimme ins Ohr. Merle schlug ihre Hand vor die Augen. Zu viel Wein. Zu wenig Schlaf. Zu viel Stress. Zu wenig Sex. Sie drehte durch.
    Er schien ihre Geste zu missverstehen. Oder auch nicht, darüber war Merle sich nicht mehr im Klaren. So oder so, die Berührung seiner Hand verschwand. Leider. Zum Glück.
    Das Taxi hielt, und Merle gab Jakob zehn Euro. Sie reichte ihm kurz die Hand, verabschiedete sich und stieg aus. Als sie um das Taxi herumgegangen war, sprang er plötzlich aus dem Wagen. »Warte.«
    »Ja?«
    »Ich muss dir noch meine Visitenkarte geben.«
    Merle blieb verwirrt stehen, während Jakob sein Portemonnaie aus der Jackentasche zog und daran herumnestelte. Wie in Zeitlupe sah sie die hintere Tür des Taxis einfach zufallen. Der Fahrer fuhr an. Jakob hielt inne und starrte den roten Rücklichtern, die die Straße hinunter verschwanden, verblüfft hinterher. »Was ist denn mit dem? Ich hatte noch gar nicht bezahlt!«
    Jakob drehte sich wieder um. Er blockierte Merle den Weg. Hier im Dunkeln auf der menschenleeren Straße wurde ihr auf einmal mulmig. Ihre Nachbarn würden reagieren, falls sie schrie. Aber waren sie überhaupt zu Hause? Merle hatte in den letzten Tagen niemanden zu Gesicht bekommen.
    Jakob kam einen Schritt auf sie zu. Seine Augen waren dunkle schwarze Teiche, und sein Gesicht lag im Schatten. Er streckte die Hand aus.
    Merle wich einen Schritt zur Seite. »Es … es tut mir leid. Ich bin wirklich müde. Gute Nacht.«
    »Ach, so ist das. Gute Nacht, Merle.«
    Sie ignorierte die Hand. Da Jakob sich nicht rührte, machte sie zwei Schritte um ihn herum und lief zur Haustür. Rasch schloss sie die Tür auf, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Noch im Treppenhaus wurde sie wieder wütend auf sich. Das war bescheuert, kindisch und unhöflich. Andererseits hatte er kaum noch einen Kilometer zu laufen. Es war kalt, aber trocken, es würde ihn nicht umbringen. Mit einem Seufzer betrat sie den Wohnungsflur und zog sich sofort die Stiefel von den Füßen. In der Sicherheit ihrer Wohnung versuchte sie zu verstehen, was in ihr vorging. Ihr Innerstes war ein Chaos an überreizten Eindrücken und zusammenhanglosen Gefühlen. Das Einzige, was ihren Verstand noch zusammenhielt, waren Gewohnheiten. Das war ihr Problem. Sie war noch nie einem Mann auf der Straße begegnet, der solch eine Wirkung auf sie hatte und mit dem sie am liebsten sofort zur Sache gekommen wäre. Musste sie nicht ein bisschen nachsichtiger mit sich selbst sein, wenn ihr ein ebensolcher Mann begegnete und sie aus der Bahn warf?
    Sie schlich in ihr Schlafzimmer und schaute aus dem Fenster. Ausgerechnet die Straßenlaterne vor ihrem Haus brannte nicht. Das war ihr bisher noch gar nicht aufgefallen. Merle erkannte die Silhouette eines Mannes unter einem Baum am Ufer des Kanals. Er hatte den Arm zum Kopf gehoben. Ungefähr dort, wo sein Gesicht war, glühte etwas rot. Merle stutzte. Jakob hatte den ganzen Abend nicht geraucht, und sie hatte weder Zigarettenschachtel noch Feuerzeug bei ihm gesehen. Sie kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, konnte jedoch nichts erkennen. Vielleicht telefonierte er. Ja, das musste es sein, er rief sich wieder ein Taxi. Er wusste nicht, dass es bis zu seiner Pension nur ein paar Meter waren. Die roten Punkte waren Reflexionen auf dem Handy-Display.
    Einen Moment beobachtete Merle, wie der Mann dort unten den Arm senkte und die Hände in den Taschen seiner Jacke vergrub. Er hatte den Kragen hochgeschlagen und den Kopf zwischen die Schultern gezogen. Jetzt wirkte er harmlos und verloren.
    »Ich bin verrückt«, murmelte Merle, während sie den Flügel des bodentiefen Fensters öffnete. Sie beugte sich über das Ziergitter hinaus.
    »Jakob?«
    Der Mann schaute hinauf. Sein Gesicht konnte sie immer noch nicht erkennen. War er es überhaupt? »Komm rauf.«
    »Wirklich?« Das Wort klang leise, aber deutlich zu ihr hinauf. Es war seine Stimme. Zweifel schwang darin.
    »Ja.« Sie schloss das Fenster wieder und ging in den Flur, um den Summer der Haustür zu betätigen. Wenige Augenblicke später stand Jakob an der Tür. Er grinste wieder dieses unverschämt freche Grinsen. »Ich hoffe, du weißt, was du da

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