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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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arglos, wie er gerade tat. Ihr kamen ein Dutzend passenderer Entgegnungen in den Sinn als diese lapidare und alberne Antwort.
    Er stand direkt hinter ihr in der engen Sitzecke und streifte ganz sicher nur zufällig ihren Po und den Rücken, doch Merle überlief trotzdem ein wohliger Schauer. Gleichzeitig läuteten ihre Alarmglocken Sturm. Sie kannte ihn seit nicht einmal sieben Stunden! Im selben Moment hätte sie am liebsten laut über sich gelacht. Da mahnte sie sich selbst zur Vorsicht, dabei war der Kerl kalt wie eine Hundeschnauze.
    Sie traten aus der Sitzecke heraus, und Jakob hielt sittsam Abstand. Das Interesse war eindeutig ausschließlich auf ihrer Seite.
    Dann sagte er völlig unvermittelt: »Aber du siehst toll aus.«
    »Danke. Mein Kollege hat gestern noch das Gegenteil behauptet.« Sie biss sich verärgert auf die Lippen. Na, großartig. Da beschwerte sie sich, dass er nicht flirtete, und sie fegte das zweite Kompliment des Abends einfach beiseite.
    »Warum denn?« Jakob sah sie ehrlich erstaunt an. »Du wirkst ein wenig ausgebrannt, aber dafür hast du doch bald Urlaub.«
    Merle jaulte innerlich auf. Jetzt hatte sie es vermasselt. Das war eine nette Antwort. Wirklich nett. Nett ist die kleine Schwester von Scheiße, sagte Volker immer. Damit war die Sache endgültig gelaufen. Vermutlich besser so.
    Sie zahlte und ließ sich ein Taxi rufen.
    »Dann also.« Jakob lächelte sie noch einmal breit an. »Du schickst mir die Unterlagen, und ich melde mich, sobald ich etwas herausgefunden habe. Es kann aber ein wenig dauern. Das Semester beginnt nächsten Monat.«
    »Kein Problem. Danke. Wo übernachtest du eigentlich? Kann ich dich noch irgendwohin mitnehmen?«
    »Ich wohne in einem Gästehaus in Stellingen. Flemingstraße.«
    Merle stutzte. »Das ist doch ganz in der Nähe. Dann fahr einfach mit. Ich zahle bis zu meiner Wohnung, und du kannst dann den Rest übernehmen.«
    Zum ersten Mal wirkte Jakob ein wenig verärgert. »So schlecht verdient man als wissenschaftlicher Mitarbeiter auch wieder nicht. Ich werde wohl noch die Hälfte übernehmen können.« Dann wandte er sich ab und verschwand noch einmal kurz auf der Toilette.
    Merle seufzte. Dieser kleine Fauxpas machte sicherlich auch keinen Unterschied mehr. Ohne darüber nachzudenken, lehnte sich sie mit dem Oberkörper halb an den Tresen. Prompt kam ein kleiner, gut gekleideter Mann mit schlechten Zähnen auf sie zu und murmelte etwas von »Zeit«. Sie deutete verwundert auf die riesige Uhr gegenüber an der Bar. »Es ist halb elf.«
    »Nein.« Der Mann beugte sich vertraulich näher. Bei dem Geruch von Wein und Knoblauch hielt sie die Luft an. »Ob du ein bisschen Zeit für mich hast.«
    Nur einen Moment war Merle sprachlos. »Sehe ich aus wie eine Nutte?«, entfuhr es ihr. »Such dir jemand anderen, der dir den Chrom von der Stoßstange poliert!«
    Er starrte sie beleidigt an.
    Merle hatte gehört, dass man im
Il Gaucho
Kontakte knüpfen konnte, aber so ein Verhalten konnte kaum im Sinne der Geschäftsführung sein.
    »Belästigt der Kerl dich?« Jakob tauchte hinter dem anderen Mann auf. Mit einem Mal erschien er ihr größer, und seine Schultern wirkten breiter. Wenn Blicke töten könnten, wäre der Kleinere ganz sicher tot umgefallen. Jakob legte ihm eine Pranke auf die Schulter und gab ihm einen unmissverständlichen Schubs. Der Mann mit den schlechten Zähnen taumelte ein paar Schritte vorwärts und verschwand dann mit kurz über der Schulter präsentiertem Mittelfinger.
    Jakob knurrte leise, als könnte er sich nur mühsam davon zurückhalten, den Gnom zusammenzuschlagen. Wie ein Raubtier, das die Zähne fletschte.
    Merle holte Luft. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie den Atem angehalten hatte.
    Jakob kam auf sie zu und packte sie an der Hand. »Gehen wir.«
    Sie traten auf die Straße, wo das Taxi gerade vorfuhr. Wortlos stiegen sie gemeinsam hinten ein, und Merle gab dem Fahrer ihre Adresse.
    Nach wenigen Metern Fahrt lachte Jakob laut auf. »Willkommen in Hamburg. So etwas erlebe ich immer nur hier. Aber der Spruch war gut.«
    Merle rieb sich kleinlaut mit Daumen und Zeigefinger die Mundwinkel. »So rede ich sonst nicht.«
    »Schade.«
    »Wieso?« Jakobs Grinsen blitzte im Halbdunkel auf, doch er schwieg. Merle hätte gern gewusst, was er gerade über sie dachte, wagte jedoch nicht zu fragen. Es war nur ein harmloser Spruch, und sie waren keine zwanzig mehr! Jakob wirkte mehr denn je irgendwie verklemmt auf sie. Und in genau diesem

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