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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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meinte einer der Männer.
    Der Verwalter wandte sich wieder an Hans. »Wer kümmert sich um das Haus?«
    »Ich, sonst niemand.«
    »Seit wann lebst du hier?«
    »Es müssen jetzt fünf oder sechs Jahre sein. Ich bin nicht sicher.«
    »Seit du mit deiner Schwester hierhergekommen bist?«
    »Mit meiner Ziehschwester Greta.«
    »Richtig, wegen der sind wir hier.« Der Verwalter verschränkte die Arme vor der Brust, und die beiden Männer nahmen wie selbstverständlich hinter ihm Aufstellung. Der Pfarrer hielt sich ein wenig abseits, als ginge ihn die ganze Angelegenheit nichts an.
    »Was ist mit deiner Schwester geschehen, Johannes vom Wald?«, fragte der Verwalter.
    Hans sah ihm offen in die Augen und wich keinen Schritt zurück. Insgeheim sandte er ein Stoßgebet zum Himmel, Gott möge ihm seine Lügen verzeihen. Um Johanns willen. Wer sorgte für den Kleinen, wenn er selbst nun für ein Verbrechen, das niemand begangen hatte, ins Zuchthaus kam?
    »Greta und ich waren im Wald, Holz schlagen. Oberhalb des Steinbruchs. Obwohl sie bereits hochschwanger war, bestand sie darauf, mir zu helfen. Ich glaube, sie wusste nicht, dass es bald so weit war, sonst hätte sie es vielleicht nicht getan. Ich kann das nicht beurteilen, habe zu wenig Ahnung von diesem Weiberkram.« Hans lächelte verlegen, und zu seiner Erleichterung nickten die Männer wissend.
    »Jedenfalls rutschte sie oberhalb des Hanges aus, und dann war es, als fiele das Kind aus ihr heraus.« An diesem Punkt konnte Hans nur hoffen, dass es bei Menschen nicht großartig anders war als bei Ziegen. Das waren die einzigen Geburten, die er bisher miterlebt hatte. Falls doch, baute er darauf, dass diese Männer es nicht besser wussten. Nachdem keiner von ihnen widersprach, fuhr er fort. »Greta war außer sich vor Schmerz und Panik. Ich durfte ihr nicht helfen, konnte mich ihr nicht einmal nähern. Sobald das Kind im Gras lag, biss sie die Nabelschnur durch. Danach weiß ich nicht, was vor sich gegangen ist. Es ging alles ganz schnell. Sie sprang auf, wollte den Säugling aufnehmen und taumelte. Dann lachte sie, und im nächsten Moment war sie über den Abgrund gekippt und verschwunden.«
    Jetzt malten sich Zweifel auf die Gesichter seiner Zuhörer, aber Hans ließ sich nicht beirren. Die Wahrheit war schließlich noch verrückter.
    »Ich suchte stundenlang nach ihr, doch das Gelände ist unwegsam und tückisch. Irgendwann fasste ich den Entschluss, mich zunächst um den Kleinen zu kümmern. Ich bin eben erst von meiner nochmaligen Suche zurückgekehrt.« Er machte eine vage Handbewegung in Richtung Waldrand.
    Die Männer tauschten einige Blicke, bevor sie reagierten, wie Hans gehofft hatte. »Kannst du uns zu der Stelle führen?«
    »Ja, Gevatter. Wie Ihr wünscht.« Er drehte sich auf der Stelle um, und sie folgten ihm über mehrere Stunden unter den Tannen hindurch über Trampelpfade und durch das Unterholz. Hans zeigte ihnen einen kleinen Abgrund, an dessen Kante sie sogar ein wenig Blut fanden. Den verletzten Hirsch, von dem das Blut stammte und von dem Hans wusste, dass er hier vor einigen Tagen abgestürzt war, konnten sie zwischen den Felsen nicht entdecken, solange er sie nicht darauf aufmerksam machte – und selbstverständlich tat er es nicht.
    Unverrichteter Dinge kehrten die Männer mit Hans zu seiner kleinen Hütte zurück. Sie wirkten nun entspannter als bei ihrer Ankunft.
    Hans wollte gerade durchatmen, als der Gemeindeverwalter sich noch einmal an ihn wandte. »Gut, Hans. Deine Geschichte klingt ein wenig ungewöhnlich, scheint jedoch so weit zu stimmen. Sicherlich hast du jetzt nichts dagegen, wenn wir uns noch einmal kurz im Haus umsehen.«
    »Natürlich nicht, Gevatter. Folgt mir.«
    Viel zu schnell standen sie vor der verschlossenen Tür im oberen Stockwerk. Einer der Männer schnüffelte argwöhnisch. Agnes stand im Türrahmen ihrer Kammer, hielt Johann auf dem Arm und beobachtete sie. Hans warf ihr einen hilfesuchenden Blick zu, und zu seiner Verwunderung lächelte sie ihn aufmunternd an.
    »Warum ist die Tür verschlossen? Öffne sie, Hans.«
    »Dahinter ist nichts.« Er hätte sich denken können, dass diese Antwort die Männer nicht befriedigte. Prompt warf einer von ihnen sich mit leichtem Schwung gegen die Tür, wie um zu prüfen, ob er sie durchbrechen konnte.
    »Kein Grund, die Tür zu zerstören, Gevatter«, rief Agnes trocken hinter ihnen. »Der Schlüssel liegt oben auf dem Rahmen. Benutzt den, wie es sich für anständige Menschen

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