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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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Nabelschnur entfernt und ihn in ein sauberes Tuch gewickelt. Das Hemd, in dem er den Kleinen hergebracht hatte, war ebenfalls gewaschen und hing zum Trocknen über dem Feuer. Hans deutete fragend darauf. Rosalia nickte ihm zu.
    »Das kannst du dir in den nächsten Tagen wieder abholen, wenn du mir Brennholz bringst. Du glaubst doch nicht, dass ich das alles unentgeltlich mache?«
    »Niemals, natürlich nicht. Was bin ich Euch schuldig?«
    »Was kannst du anbieten?«
    »Brennholz für den ganzen Winter?« Normalerweise tauschte er mit Rosalia gegen Hustenkräuter, Honig oder Kerzen.
    Sie schüttelte heftig den Kopf. »Das ist viel zu viel. Sagen wir bis Weihnachten.« Ihre Miene verzog sich zu aufrichtiger Trauer. »Dein Johann wird es nicht erleben.«
    Wortlos ging Hans an ihr vorbei und hob seinen Sohn an die Brust. Mühsam hielt er seine Tränen zurück. Ein Mann weinte nicht vor einer Frau, und er war ein Mann. Er würde für seinen Sohn sorgen. Er konnte das. Er würde alles tun, damit er leben konnte und es gut hatte. Es durfte ihm an nichts fehlen.
    Rosalia trat leise neben ihn. Sie drückte ihm ein kleines Bündel mit Kräutern in die Hand. »Nimm das, das ist für dich. Ich sehe an deinen Bewegungen, dass du verletzt bist. Komm morgen wieder her, damit ich mir das ansehen kann.
    Jetzt lauf die Straße Richtung Lörrach hinunter. Ein paar Schritte hinter dem Dorfrand zum Fluss hin liegt der Mayerhof. Eine der Mägde hat vor kurzem ein Kind verloren. Frag dort nach Agnes. Wenn sie noch Milch hat, wird sie dir vielleicht helfen.«
    Hans nickte dankbar, dann lief er los.
    Der Bauer war nicht eben erfreut, als Hans nach einer seiner Mägde fragte, doch Agnes ließ sich nicht lange bitten. Ohne große Worte nahm sie Johann an sich und legte ihn an die Brust. Hans konnte seinen Blick vor Freude nicht abwenden. Er bekam kaum mit, dass zwei der anderen Mägde versuchten, ihm gehässige Dinge über Agnes zu erzählen. Es wäre Gottes Strafe gewesen, dass Agnes ihr Kind verloren hatte. Weil sie mit dem Bauern gelegen habe. Angeblich nicht freiwillig, aber wer glaubte das schon. So alt, wie sie war und wie sie aussah, hätte sie doch niemals mehr einen Mann abbekommen.
    Agnes versuchte, das Gerede zu ignorieren. Irgendwann keifte sie die beiden jungen Dinger an. Ob sie nun eine gefallene Frau war oder nicht, ihre Autorität als Ältere zeigte Wirkung. Schon bald saß sie mit Hans allein in der Gutsküche.
    »Ich kenne dich«, sagte Agnes. »Du bist häufiger auf dem Markt. Ich dachte, du wärest ein Knecht vom Waldhof.«
    »Ich wohne in der kleinen Holzhackerhütte oberhalb von Steinberg. Eine halbe Wegstunde den Weg hinauf.«
    »Wem gehört die Hütte?«
    »Mir.«
    »Dir? Wie alt bist du?«
    »Sechzehn Jahre. Glaube ich.« Was half es jetzt zu lügen?
    »Von wem ist das Kind?«
    »Von meiner Schwester. Sie ist fort.«
    Agnes sah ihn scharf an. »Das hier ist dein Sohn. Das sieht ein Blinder!«
    Hans wurde wieder rot. Seine Knie gaben nach, und er setzte sich Agnes gegenüber an den langen Tisch, an dem sonst das Gesinde aß. »Sie ist nicht meine richtige Schwester. Ich kann dir nicht sagen, was in der letzten Zeit geschehen ist. Sie war schwanger. Heute Morgen wurde ich von ihrem Brüllen wach. Da war überall Blut. Dann hat mich der Teufel angegriffen. Nachdem ich erwacht war, war Greta fort.«
    Als er seine eigenen Worte hörte, fragte sich Hans, was er tun würde, wenn ihm jemand solch eine absurde Geschichte erzählte. Aber jetzt war es zu spät. Er bemühte sich, dem langen prüfenden Blick, mit dem Agnes ihn bedachte, standzuhalten. Er konnte nicht erkennen, was sie dachte oder ob sie ihm glaubte.
    Johann war satt. Agnes zog ihr Kleid wieder hoch und klopfte dem Säugling den Rücken, ganz so, wie Hans es von seiner Mutter kannte, wenn sie seine jüngeren Geschwister versorgt hatte. Auf einmal überkam ihn Heimweh. Ein Gefühl, das er seit Jahren verdrängt hatte, weil er wusste, dass er seine Wurzeln für immer verloren hatte. Er war dem Teufel in Menschengestalt in den Wald gefolgt; er konnte nie mehr zurück. Er presste die Zähne aufeinander, bis sein Kiefer schmerzte.
    »Du musst Johann bei mir lassen«, holte Agnes’ Stimme ihn in die Gegenwart zurück. »Du hast es gesehen. Ich kann ihn stillen. Es gibt Hoffnung.«
    »Nein!« Die Erinnerung an Greta hatten die Angst um sich und das Leben seines Sohnes wieder lebendig werden lassen. Was war, wenn sie zurückkam und Johann einforderte? Hans wollte zurück

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