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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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damals gespielt haben. Bis auf die Tatsache, dass er sich sehr über das Verhalten seiner Mutter gegenüber Greta wundert und es mit dem der bösen Stiefmutter in Märchen vergleicht, gibt es keine weiteren Referenzen. Möglicherweise hat dies alles gar nichts mit Märchen zu tun. Vielleicht hat deine Großmutter diese Parallele nur gezogen, weil sie das Märchen von Hänsel und Gretel gern mochte und sich daran erinnert fühlte.«
    Merle wollte ihn unterbrechen, doch Jakob hob die Hand. »Aber«, sagte er, »da ist noch etwas sehr Interessantes: Die Vorbesitzerin deines Häuschens wird Trude genannt. Vielleicht glaubten die Leute, dass der Frau etwas Übernatürliches anhaftete. Das liefert einen Hinweis darauf, nach welcher Art Aberglaube wir suchen müssen. Kennst du zum Beispiel
Die Regentrude
von Theodor Storm?« Jakob sprang auf, langte nach Merles iPad und begann, auf verschiedenen Webseiten zu suchen. Dann drehte er den Bildschirm so, dass Merle den aufgerufenen Wikipedia-Artikel lesen konnte: »Hier steht es: Das Wort kommt aus dem mittelhochdeutschen
trute
oder vom gotischen
trudan.
Es bedeutet so viel wie Trampeln und Treten. Trude wurde zu Drude. Druden werden als alte, hutzelige Frauen beschrieben, ähnlich unseren bösen Märchenhexen. Die Druden selbst sind Wesen, oder von jenen Frauen abgespaltene Teilwesen, die nach dem alten Volksglauben des Nachts in die Zimmer der Menschen schleichen, sich auf deren Brust setzen und Alpträume verursachen. Die Menschen bekommen keine Luft mehr und geraten in Panik. Heute nennt man diese Wesen auch Aufhocker. Leute, die solche Erfahrungen machen, glauben schon mal, von Aliens entführt zu … Merle, was ist los?«
    Merle wurde schwindelig. Sie konnte das iPad nicht mehr halten, so sehr zitterte sie. Verzweifelt wandte sie sich von Jakob ab, presste die Faust an den Mund und biss sich auf die Knöchel, bis es schmerzte. Sie spürte Wut aufsteigen, aber gleichzeitig fehlte ihr die Kraft, wütend zu sein. »Das darf doch alles nicht wahr sein!«, flüsterte sie mehr zu sich.
    »Was ist denn? Beruhige dich!« Jakob kam um den Tisch herum, setzte sich neben sie und zog sie an sich. Wie inzwischen schon so oft zuvor. Nur mühsam drängte Merle die aufsteigenden Tränen zurück. Sie selbst jedenfalls war jetzt und hier an einem Punkt angelangt, von dem aus es nicht mehr weiterging. Sie verabscheute ihre Schwäche. Sie begann, sich für ihre Heulerei und Zusammenbrüche zu hassen. Wenn sie doch nur klar denken könnte!
    »Sag doch mal, dass ich mich zusammenreißen muss!«, murmelte sie leise.
    Völlig unerwartet stieß Jakob sie ein wenig von sich, ergriff ihre Hände und riss sie ihr vom Gesicht. »Das weißt du selbst«, knurrte er. »Also beherrsch dich, sonst kann dir bald niemand mehr helfen.«
    Merle sah bestürzt zu ihm auf. Er meinte es ganz ernst und hatte das getan, was sie gerade von ihm verlangt hatte. Aber das erschien ihr nun auch wieder falsch.
    Sie hörte ihn leise seufzen. »Vielleicht erklärst du mir jetzt erst einmal, was genau dich so schockiert hat.«
    Entschlossen schüttelte Merle den Kopf. »Ich habe dich unterbrochen. Wie werden denn solche … Drudenbesuche heutzutage erklärt? Das heißt, was ist die Ursache? Die Entführung durch Außerirdische ziehe ich jedenfalls auch nicht in Betracht.« Das war schon besser. Logisch bleiben! Sie versuchte es mit einem Lächeln, doch ihre Gesichtszüge gehorchten ihr nicht so ganz. Vermutlich sah es mehr nach einem Zähnefletschen aus.
    Jakob runzelte verwirrt die Stirn. »Meinst du, welche körperlichen oder neurologischen Vorgänge zu so etwas führen können? Oder willst du wissen, was der Auslöser ist, warum Menschen sich so etwas einbilden? So oder so, ich habe keine Ahnung. Warum fragst du?«
    »Mal angenommen, ich würde dir erzählen, dass ich von so einer Drude geträumt habe.« Merle spürte erneut das Zittern in sich, als sie die Erinnerung aufleben ließ. »Das war kurz bevor wir uns kennengelernt haben. Ich bin aufgewacht, und da hockte so ein Wesen auf meiner Brust und starrte mich an. Ich weiß, dass ich keine Luft mehr bekam. Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass der Radiowecker angegangen ist.« Sie malte mit den Fingern zwei Kreise unter ihre Brust. »Ich hatte hier zwei Male. Es sah wirklich so aus, als ob da ein Kobold oder so etwas seine Fersen hineingebohrt hatte.« Sie brach ab und senkte den Blick auf ihre Hände, die wieder zu Fäusten geballt waren. »Mir ist völlig

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