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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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genauso schlecht behandelt wie Michael, drehe ich ihm den Hals um, klar?«
    Merle lächelte dankbar. Sie hatte einmal etwas sehr Ähnliches zu Volker gesagt. Vor sehr vielen Jahren, als sie erfahren hatte, dass er verheiratet war, und er ihr unmissverständlich klargemacht hatte, dass er Jona niemals hintergehen würde. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals wieder so eine intensive Enttäuschung und gleichzeitig Erleichterung verspürt zu haben wie in jenem Augenblick. Denn damals war ihr klargeworden, dass Volker der Mann war, den sie ihr Leben lang gesucht hatte – und dass sie ihn genau deshalb nie würde erobern können, da sein Herz bereits einer anderen gehörte.
    Merle nippte nachdenklich an ihrem Sekt. Und was war mit Jakob? Sie hatte selbst immer noch das Gefühl, dass er etwas vor ihr verbarg. Eine Frau oder Freundin in Freiburg schloss sie inzwischen aus. Aber sonst? Andererseits wäre es ein bisschen viel verlangt, bereits jetzt alles von ihm und über ihn zu wissen. Sie hatte auch ihre Geheimnisse. Das machte es doch erst interessant.
    Sie beendete den Abend früher als geplant und schob Müdigkeit vor. Da man ihr das deutlich ansehen konnte, widersprach ihr niemand. zu Hause angekommen, verschwand sie sofort im Bad und hatte nur noch die Aussicht auf das Bett im Kopf. Jakob hingegen gab an, seine Mails überprüfen und sich mit dem Smartphone in die Küche setzen zu wollen.
    Als Merle wieder aus dem Bad kam, sah sie, dass Jakob, der mit dem Rücken zu ihr saß, einen länglichen Zettel in Händen hielt. Nach einem kurzen Moment erkannte sie einen Beipackzettel. Es musste der von den Schlaftabletten sein. Sie verharrte schweigend und beobachtete ihn. Jetzt griff Jakob zu einem der Blister mit den Tabletten und zog ein halbvolles Wasserglas, das Merle mittags stehen gelassen hatte, heran.
    Merle traute ihren Augen nicht. Sie führte eine Hand zum Mund und biss sich auf einen Finger, um zu verhindern, dass sie wütend aufschrie und damit der Schmerz das Trugbild vertrieb.
    War er das? Der versteckte Dorn, den sie an der strahlend blühenden Rose noch nicht entdeckt hatte? Der Dorn, an dem sie sich stach und in einen ewigen Schlaf fiel?
    Jakobs Kopf wandte sich wieder dem Beipackzettel zu, während seine linke Hand mit dem Blister spielte, so dass es leise knisterte. Bei dem Geräusch stellten sich Merles Nackenhaare auf.
    Dann ging ein Ruck durch den Mann. Er faltete den Zettel wieder ordentlich zusammen, steckte ihn mitsamt den Tabletten in die Schachtel zurück und warf sie mit einem kleinen Schwung in Richtung Tischende. Die Packung schlitterte über das Holz und blieb an einem Kerzenleuchter liegen.
    Merle griff an die Klinke der Badezimmertür hinter sich und zog sie mit einem deutlichen Knall zu. Wie erwartet drehte Jakob sich um und strahlte sie an.
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Alles wunderbar. Ich wollte mich aber noch auf die Couch setzen, einen Tee trinken und etwas lesen. Mach ruhig schon das Licht aus, ich komme nach.«
    »Klar, wie du meinst.« Jakob kam auf sie zu und sah sie mit einem liebevollen Lächeln an. In seinen Augen schimmerten wieder Torffeuer. Nein, keine Torffeuer. Irrlichter im Moor, die mit dem falschen Versprechen von Schutz den arglosen Wanderer vom Wege abbrachten und fehlleiteten.
    Sie widerstand der Versuchung, sich in die Arme nehmen zu lassen, und ließ ihn stehen. Ihr Entschluss stand fest: Sie würde die Nacht aufbleiben. Falls es stimmte, was sie gesehen hatte, wollte sie ihm keine Gelegenheit geben, sie zu überraschen. Falls sie sich irrte, konnte sie immerhin vermeiden, ihn mit einem Alptraum zu wecken.
    Auch wenn ihr Verstand ihr gerade erklärte, dass ihr neuer Freund ihr heimlich Schlaftabletten ins Wasser tun wollte, widersprach ihr Herz, dass er es schließlich nicht getan hatte und sie seine Handlung vermutlich fehlinterpretierte. Auf der anderen Seite: Wenn das Erwachen bedeutete, dass er kein Prinz war, der sie wachküsste, sondern ein Monster, würde sie lieber nie wieder schlafen.

Acht
    Perspektivenwechsel
    J akob lenkte den Wagen auf den Parkplatz neben der kleinen Kirche und stieg aus. Er hatte sich kaum suchend nach einem Parkautomaten umgesehen, als ein grauhaariger Mann im Anzug an ihm vorbeischlenderte. Obwohl der Fremde versuchte, wie ein zufälliger Passant zu wirken, spürte Jakob seinen neugierigen Blick. Er lächelte offen. Das typische Verhalten von Menschen in kleinen Gemeinden wie Steinberg, wo Fremde, gerade außerhalb der

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