So frei wie der Himmel
drückte sie sanft. "Es tut mir leid", wiederholte sie.
"Ich bin keine Lügnerin", flüsterte Ayanna. Zum Glück waren momentan keine anderen Mitarbeiter in dem Raum.
"Ich weiß", sagte Cheyenne.
"Nein, das weißt du nicht. Du denkst, ich habe für deinen Vater gelogen. Vor Gericht. Unter Eid! Gut, ich habe seine Chefs angelogen und einige Leute, denen er Geld schuldete, weil wir sie nicht bezahlen konnten. Aber er war in dieser Nacht, als der Laden überfallen wurde, mit mir zusammen. Wir waren gegenüber bei Dennys."
Im Fernsehen hätte es eine lange Verhandlung mit jeder Menge Zeugen gegeben. Im wahren Leben war Cash Bridges nur ein Fall von vielen. Man hatte ihn verhaftet und verurteilt. Ayanna hatte zu seinen Gunsten ausgesagt, Geschworene gab es nicht. Der Bezirksstaatsanwalt ließ den Film aus der Überwachungskamera laufen, woraufhin das Gericht Cash zu fünf Jahren Gefängnis verurteilte. Er starb achtzehn Monate später bei einer Schlägerei unter den Insassen.
"Er ist allerdings kurz rausgegangen, um sich Zigaretten zu holen", murmelte Ayanna unglücklich.
Cheyenne starrte sie an. "wie lange war er weg?"
"Lange genug."
"Hast du das der Polizei erzählt?"
"Natürlich nicht. Ich war jung, und ich war dumm. Ich musste eine Tochter großziehen. So nutzlos Cash auch war, ich wollte nicht, dass er ins Gefängnis geht."
"Du wusstest, dass er schuldig war."
"Nein", protestiere Ayanna. "Ich wusste nur, dass er für fünf Minuten den Tisch verlassen hat."
"Mom, was ist mit dem Film?"
"Es war jemand, der ihm ähnlich sah."
"Gut, mach dir ruhig weiter was vor."
"Wenn du die Aufnahme gesehen hättest, wüsstest du auch, dass er es nicht gewesen ist."
"Das alles ist lange vorbei, Mom." Cheyenne fühlte sich unendlich müde. "Vielleicht hast du recht. Vielleicht war er es nicht." Und wenn ich meine Arme ausstrecke, flattern vielleicht ein paar Zeichentrickvögel herab und landen auf meinen zarten Schneewittchenhandgelenken. "Der springende Punkt ist, dass wir so einfach nicht weiterkommen."
"Das stimmt."
"Iss dein Sandwich.
"Ich habe versucht, eine gute Mutter zu sein."
"Du bist eine gute Mutter."
Ayanna schniefte. "Du solltest dieses Sandwich essen. Du bist viel zu dünn."
"Schön wär's." Cheyenne umarmte sie. "Ich muss los, Mom. Auf mich wartet noch viel Arbeit im Büro."
Aber Ayanna hielt sie zurück. "Sag Jesse die Wahrheit. Sag ihm die Wahrheit, Cheyenne, bevor es zu spät ist."
Ihre Tochter nickte.
"Versprochen?"
"Versprochen."
"Heute?"
"Heute."
Um Punkt siebzehn Uhr verließ Cheyenne das Büro. Vom Auto aus rief sie zu Hause an. Mitch nahm beim zweiten Klingeln ab.
"Hey", sagte Cheyenne.
"Hey", entgegnete Mitch.
"Geht's dir gut?"
"Ich bin nicht völlig hilflos, weißt du", antwortete er.
"Ich weiß." Sie musste nicht fragen, ob Ayanna zu Hause war, weil sie deren Wagen vor dem Supermarkt gesehen hatte. "Soll ich dir etwas mitbringen?"
"Bronwyn kommt nachher mit Pizza vorbei. Du kannst dir also gern noch etwas Zeit lassen. Mom geht nach ihrer Schicht noch zu einem Gewerkschaftstreffen oder so."
"Dann hast du ja freie Bahn. Ich bin nämlich auf dem Weg zu Jesse, und ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Sag Mom Bescheid, j?"
"Mach ich", versprach Mitch. "Chey?"
"Ja?"
"Hast du deinen Chef mal gefragt wegen ..."
"Ja", entgegnete Cheyenne vorsichtig. Eigentlich wollte sie erst darüber sprechen, wenn sie wusste, wie Jesse und die anderen McKettricks auf ihr Geständnis reagieren würden. Denn falls man sie in hohem Bogen rauswarf, brauchte auch Mitch sich keine Hoffnungen mehr zu machen. "Ich habe erwähnt, dass du bei dem Programm gern mitmachen würdest. Bisher hat Keegan mir noch keine konkrete Antwort gegeben, Mitch."
"Wirst du Jesse von Nigel erzählen?"
Sie schluckte schwer. "Ja."
Eigentlich hätte Mitchs Antwort sie nicht überraschen dürfen. Jesse ist ein guter Typ, Chey. Am Anfang wird er vielleicht sauer sein, aber er wird dich verstehen."
"Ich hoffe, du hast recht." Aber sie glaubte nicht daran und wusste, dass Mitch das spürte.
"Habe ich", erklärte er.
"Bis später."
"Ich wette, bis morgen", rief Mitch.
Cheyenne legte auf und fuhr zur Ranch.
Jesses Haus war in feuriges Gold und Rot getaucht, die Sonne ging gerade unter. Bald würde der Himmel lila und rosa leuchten und schließlich dunkel werden. Seit die Erde existierte, hatte der Himmel nicht ein einziges Mal exakt gleich ausgesehen, und das würde auch niemals geschehen.
Das Abendlicht blendete sie.
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