So frei wie der Himmel
füttern.«
"Schluss jetzt!", rief Sierra. "Wir haben damit angefangen, also werden wir es auch zu Ende bringen. Von uns wird ja sowieso keine in Las Vegas landen."
Das stimmt, dachte Cheyenne. Was konnte es schon schaden, bei einem örtlichen Turnier mitzuspielen? Nach den ersten Runden würden sie sowieso rausfliegen, und dann konnten sie alle wieder in ihr gewohntes Leben zurückkehren: Sierra durfte wieder die Braut sein, Elaine Häuser verkaufen, Janice ihre Kühe füttern und Seifenopern anschauen.
Und sie?
Sie hatte einen neuen Job - und leider Gottes auch noch ihren alten. Außerdem hatte sie ihre Familie.
Und unglaubliche Orgasmen mit Jesse.
Vorausgesetzt, er hatte sie nicht schon längst abgeschrieben.
Der Abend ging schnell vorüber, vermutlich, weil Cheyenne sich bestens amüsierte, da die nächsten Stunden nicht einer gewissen Komik entbehrten.
Janice setzte mit einer Sieben und einer Drei von ungleicher Farbe. Elaine war die ganze Zeit über todernst und studierte ihre Karten, als handelte es sich um die Heilige Schrift. Sierra setzte auf König und Königin, weil sie ein Ehepaar ergaben.
Nachdem Elaine und Janice gegangen waren, half Cheyenne Sierra noch beim Aufräumen. Liam lag bereits im Bett, Travis hatten sie den ganzen Abend nicht gesehen. Das Haus erschien ihr auf erwartungsvolle Weise still zu sein.
"Du hast versprochen, mir von den Geistern zu erzählen", sagte Cheyenne, während sie nebeneinander am Spülbecken standen.
"Es gibt hier keine Geister", sagte Sierra lächelnd. "Eigentlich nicht."
"Sondern?" Natürlich sollte Cheyenne ihre Nase nicht in Angelegenheiten stecken, die sie nichts angingen. Aber sie konnte nicht anders. Alles, was mit Übersinnlichem zu tun hatte, jagte ihr immer einen wohligen Schauer durch den Körper.
"Das ist schwer zu erklären", meinte Sierra. "Aber hast du schon mal darüber nachgedacht, dass die Zeit möglicherweise nicht linear verläuft - du weißt schon, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft -, sondern stattdessen alles gleichzeitig geschieht?"
"Ja, habe ich", sagt Cheyenne. "Du sprichst von unterschiedlichen Zeitdimensionen, die nebeneinander existieren?"
Sierra nickte. "Und sich manchmal überschneiden. Liam sieht Tobias ganz regelmäßig. Und ich habe einmal Hannah gesehen - Hannah McKettrick - sie ist eine meiner Ahninnen und lebte - lebt - in diesem Haus."
"Aber du glaubst nicht, dass sie ein Geist ist?"
"Ich glaube, sie ist real. Sie lebt - so wie wir."
"Wow", staunte Cheyenne.
Eine Weile kaute Sierra auf der Unterlippe, dann sah sie Cheyenne direkt an. "Ich spreche nicht oft darüber", erklärte sie unsicher. "Ich meine, es gibt schon seit Jahren Gerüchte über dieses Haus, und die will ich nicht noch weiter schüren. Das könnte für Liam in der Schule schwierig werden."
"Verstehe. Ich werde niemandem etwas verraten."
Zwanzig Minuten später, als sie Richtung Stadt fuhr, dachte Cheyenne kurz daran, einen Umweg zu nehmen. Sie stellte sich vor, wie sie abbog und an Jesses Tür klopfte. Wenn er öffnete -falls er öffnete - würde sie sich für ihr Benehmen entschuldigen. Vielleicht könnte sie ihm erklären, wie tief die Furcht in ihr saß, dass ihr Bruder noch einmal schwer verletzt werden könnte.
Auf der anderen Seite hatte Jesse sich wirklich gedankenlos verhalten. Natürlich war es richtig, dass er Mitch wie einen normalen jungen behandelte. Trotzdem durfte er nicht so tun, als hätte Mitch keine Behinderung. Ein weiteres Unglück würde womöglich nicht nur seinen Körper zerstören, sondern auch seine Seele.
Nach dem Unfall hatte Mitch bereits aufgeben wollen. Aber Cheyenne und Ayanna hatten sich geweigert, ihn gehen zu lassen. Sie wachten an seinem Bett, als er im Koma lag, hielten seine Hand, wisperten ihm ins Ohr. Immer wieder sagten sie ihm, dass er kämpfen müsse, mit all seiner Kraft kämpfen und zurückkehren. Wochen, nachdem er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, sagte Mitch, dass er sie gehört hätte. Ihren Stimmen war er zurück in seinen Körper gefolgt. Zurück zu den Schmerzen. Und manchmal glaubte Cheyenne, in seinen Augen einen Vorwurf zu lesen.
Warum habt ihr mich nicht gehen lassen?
Cheyenne fuhr an der Abfahrt zu Jesses Haus vorbei. Er würde sie nicht verstehen.
Etwa während der zehnten Runde Bier kam Wyatt Terp ins Roadhouse. Mit dem unfehlbaren Instinkt seines Namensvetters sah er sofort zum McKettrick-Tisch.
"Ich bin sicher, ihr Jungs habt nicht vor, noch zu fahren", sagte er
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