So frei wie der Himmel
Sierra, die inzwischen auf der anderen Seite des Absperrseils standen und zusahen. In der Nähe von Mitch und Ayanna, die gekommen waren, um Cheyenne moralisch zu unterstützen.
Um neunzehn Uhr war nur noch ein Tisch übrig. An ihm saßen Cheyenne, ein Mann, der wie ein Lastwagenfahrer aussah, eine alte Frau mit lila gefärbtem Haar, ein Motorradfahrer mit geschorenem Kopf und tätowierten Armen. Und Jesse.
Den Lastwagenfahrer glaubte Cheyenne besiegen zu können. Er war nervös, sein rechtes Auge zuckte, und er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Die alte Frau hingegen konnte sie weniger gut einschätzen. Sie trug eine randlose Brille, ein Baumwollkleid mit Blumenmuster und wirkte, als würde sie Tag für Tag Marmelade einkochen. Der Motorradfahrer war zu angespannt. Leicht nach vorn gebeugt saß er in seinem Stuhl und verspielte ununterbrochen seine Chips.
Und natürlich Jesse. Besonnen. Ruhig. Vollkommen kontrolliert. Guter Gott, sie wollte ihn so gern besiegen.
Zuerst stieg der Motorradfahrer aus, ihm folgte der Lastwagenfahrer. Die alte Frau hielt sich gut, bis sie bei einem einzigen Spiel alles setzte und verlor. Cheyenne wartete auf ihre Karten. Innerlich war sie ein zitterndes Wrack, was Jesse womöglich bemerkte. Andererseits hatte sie viel von ihrem Vater gelernt. Unter anderem, sich niemals Gefühle anmerken zu lassen, zumindest nicht am Pokertisch.
Sie bekam eine Zwei und eine Vier, ungleiche Farbe.
Der Flop bestand aus drei Damen. Falls sie noch eine Zwei und eine Vier bekam, hätte sie ein Full House. Falls nicht, hätte sie verloren. Natürlich könnte sie aussteigen, doch dann bekäme Jesse als einziger Spieler den Pot. Er besaß bereits dreimal so viele Chips wie sie. Wenn er jetzt gewann, würde sie ihn nicht mehr einholen.
Cheyenne schob einen kleinen Stapel Chips in die Mitte. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Mitch und Ayanna sie beobachteten. Ayanna hielt eine Hand vor den Mund.
Der Turn , die vierte Gemeinschaftskarte, wurde gelegt: Kreuz Vier.
Cheyenne rührte sich nicht, doch ihr Herz begann zu hämmern. Jesse erhöhte den Einsatz, ruhig und unerbittlich. Cheyenne ging mit. Der River, die fünfte Karte, war ein Pikbube und für Cheyenne vollkommen wertlos.
Jesse setzte sich zurück. Lächelte. Verdammt. Er setzte alles. Cheyenne folgte ihm, obwohl sie wusste, dass sie nicht die geringste Chance hatte. Es sei denn, Jesse bluffte. Aber das tat er nicht. Er hatte die vierte Königin.
Verdeckt legte Cheyenne ihre Karten auf den Tisch und schob den Stuhl zurück. Auch Jesse erhob sich, schien den aufbrandenden Applaus aber nicht zu bemerken. Genauso wenig registrierte er den begeisterten Mann mit Mikrofon, der neben ihm auftauchte.
Nun, Jesse McKettrick war schließlich daran gewöhnt zu gewinnen.
Cheyenne nahm all ihren Stolz zusammen, wandte sich ab und ging. Als sie an Sierra, Elaine und Janice vorbeikam, die sie ehrfürchtig anstarrten, als ob sie gerade das Rote Meer geteilt hätte, als ob sie gewonnen hätte, schüttelte sie den Kopf.
Sie wollte nicht, dass sie ihr nachkamen. Niemand sollte ihr nachkommen. Sie wollte einfach ein paar Minuten allein sein. Also eilte sie auf den Ausgang zu und trat in den kühlen Nieselregen. Inzwischen war es dunkel, die Lichter des Kasinos schimmerten auf der nassen Straße. Hinter ihr öffnete sich die Tür.
"Cheyenne?"
Auch ohne sich umzudrehen, wusste sie, dass Jesse hinter ihr stand.
"Geh weg", sagte sie. "Du hast gewonnen. Du bist der bessere Spieler."
Er trat vor sie, hob ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. "Glaubst du, ich bin deswegen gekommen? Um dich verlieren zu sehen?"
Sie schluckte. "Warum sonst?"
"Weil ich das Pokern liebe. Und vielleicht, weil ich dich ..."
"Nicht", flüsterte sie.
"Cheyenne, würdest du mich ausreden lassen?"
"Nein."
Also küsste er sie stattdessen sanft.
"Eines ist mir klar geworden, als ich in den Bergen war und mir selbst leidgetan habe. Ich liebe dich. Und ich glaube, du liebst mich auch. Warum können wir nicht einfach noch mal von vorn anfangen und die Karten neu verteilen?"
"Du hast mich belogen."
"Damit sind wir quitt."
"Du hättest mir von Brandi erzählen müssen."
"Ich weiß", sagte er. "Und es tut mir leid.
Überrascht sah sie ihn an. "Wirklich?"
"Ja." Er wartete.
"Ich habe versucht, dir von Nigel zu erzählen."
Jesse nickte. "Ich weiß", sagte er noch einmal. "Ich schätze, ich wollte es einfach nicht hören."
Schützend verschränkte sie die Arme vor der Brust. Zum
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