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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagen Stoll
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Frau Paschulke in unserem Wohnzimmer, nahm das ganze Sofa ein und schlürfte zufrieden ihren Weinbrand, während sie mit meinen Eltern angeregt und betont freundlich dies und jenes besprach. Traf ich sie allein, im Treppenhaus oder auf der Straße, war ich zu ihr höflich und sie zu mir freundlich– » Ach, geht’s dir gut?« » Ja, prima, Frau Paschulke.« Eine Freundin der Familie halt. Und dann steckte mir meine Mutter, dass die Paschulke für die Stasi arbeitete.
    Ich wusste kaum, was das war. Stasi? Geheimdienst? Aber natürlich hatte jeder im Haus gewusst, was mit der Paschulke los war. Die hatte nicht nur bei uns gesessen und Metaxa getrunken, die hatte sich von Zeit zu Zeit systematisch durch alle elf Etagen gearbeitet und sämtliche Mitbewohner unter die Lupe genommen. » Wie, die hat uns ausspioniert?« » Ja, bei der muss man aufpassen. Die durchleuchtet einen.« Da hatten mir meine Eltern die ganze Zeit was vorgespielt, damit ich nicht auf ideologische Abwege geriet! Ich war stinksauer. Und die Paschulke hätte ich anspucken können. Sie hat dann von sich aus die Reißleine gezogen, hat sich bald nach der Wende aus dem Staub gemacht, wie viele, die für die Stasi gearbeitet hatten, und ward nicht mehr gesehen.
    Die erste Irritation des Jahres 1989. Die nächsten ließen nicht lange auf sich warten. Günter Schabowski hatte seine magische Formel » Meines Erachtens ab sofort« noch nicht gesprochen, aber dass sich was zusammenbraute, bekam selbst ich mit.
    Dabei waren wir darin geübt, Irritierendes zu schlucken. Ein System kann so kurios sein, wie es will– wenn du es nicht anders kennst, erscheint es dir normal. Bei manchem Sportwettbewerb meiner Jugendzeit würde ich heute von vormilitärischer Ausbildung sprechen, zum Beispiel, wenn wir versuchen mussten, Ringe mit keulenähnlichen Wurfobjekten zu treffen. Das war im Grunde Stabgranatenweitwurf, aber da hat keiner gesagt: Warum schmeißen wir eigentlich nicht mit Bällen? Und wenn mein Vater ab und zu das Westfernsehen einschaltete, fiel ihm nichts anderes ein als: » Das ist doch alles nicht wahr. Das ist doch Feindpropaganda.« Da prangerte der Löwenthal in seinem ZDF -Magazin die Zustände in den Gefängnissen und den Umgang mit Dissidenten in der DDR an, und mein Vater sah nur die kalten BRD -Krieger am Werk.
    Dabei wusste er natürlich mehr als ich. Er hatte sogar Orden verliehen bekommen, als Auszeichnung dafür, nehme ich an, dass er Grenzdurchbrüche verhindert hatte. Mein Vater hat nie viel über seine Arbeit erzählt, ab und zu aber erwähnte er, dass wieder mal einer versucht hätte, über die Grenze zu kommen. Zu kommen? Zu gehen? In welche Richtung? Aus seinen spärlichen Angaben wurde für mich immer klarer, dass diese Grenzverletzer unser Land verlassen wollten. Von drüben hingegen schien nie einer rüberzuwollen. Wen beschützte er denn nun? Wieso nahm er Leute fest, die rauswollten? War das ganze Hunde-, Mauer-, Suchscheinwerfer- und Stacheldrahttheater am Ende eine Farce, weil der Klassenfeind gar nicht daran dachte, bei uns einzudringen?
    Nicht, dass ich mit meinen vierzehn Jahren politisch schon auf Draht gewesen wäre. Eine Einstellung hatte ich trotzdem, nämlich die Einstellung der meisten meiner Altersgenossen. So brachten wir zum Beispiel statt des freudig gebrüllten » Immer bereit!« nur noch ein gelangweiltes » Fröndschaft« zustande, wenn wir beim Morgenappell auf dem Schulhof angetreten waren. Inzwischen trug ich nämlich das blaue Hemd der FDJ (Freie Deutsche Jugend), und da lautete die Parole nicht mehr » Immer bereit«, sondern » Freundschaft«. Bock hatte keiner mehr auf diese Appelle. Als Jungpionier bist du stillgestanden und hast dich bemüht, Begeisterung zu zeigen, als FDJ ler kam dir der ganze Zauber schon wahnsinnig uncool vor. Erster Mai, Tag der Arbeiterklasse, winken gehen– was sollte der Quatsch? Da habe ich mir lieber den Kragen von meinem FDJ -Hemd abgeschnitten und beim Appell oben in den Pullover gesteckt, um ihn gleich danach in der Gesäßtasche verschwinden zu lassen. Mit politischer Überzeugung hatte das nichts zu tun. Aber als kleine Rebellen, so ’n bisschen neben der Spur, war uns bedeutend wohler. Eine ganze Generation hat damals einfach Nö gesagt. Nö, jefällt uns nich. Wolln wer nich. In den blauen Hemden fühln wer uns irgendwie mies. Dass es später so gekommen ist, wie’s kam, hat meines Erachtens auch damit zu tun. Mit dieser Rebellion aus Überdruss.
    Und Gorbatschow? Der

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