So fühlt sich Leben an (German Edition)
einundzwanzig Jahren schon die Geldscheine aus der Hosentasche quellen. In Berlin gab’s vielleicht zwei seiner Art. Der war ein echter Exot auf unseren Straßen; das ist mir später auch zum Verhängnis geworden, aber jetzt geht’s, wenn ich richtig verstanden habe, erst mal um die Finanzierung.
Also: Anfang der Neunzigerjahre begann es bei uns mit der Abzocke, und zwar im großen Stil. Da schossen auf jedem Fleckchen Brachland in Marzahn Gebrauchtwagenhandlungen aus dem Boden. Das sah so aus: Wo immer sich eine Freifläche bot, stellte ein Gebrauchtwagenhändler seinen Bau- oder Wohnwagen hin, steckte sein Terrain mit bewimpelten Schnüren ab, zog weitere bewimpelte Schnüre von allen Seiten hoch bis auf die Spitze einer Art Maibaum in der Mitte des Geländes und stopfte innerhalb dieses Gebiets alles mit alten Autos aus dem Westen voll, zehn, zwanzig, fünfzig Karossen, je nachdem. Und an einem Golf, den er, sagen wir, für fünfhundert Mark erstanden hatte, prangte ein Preisschild mit der Aufschrift » 1 5 000 DM «. Jeder Wagen präsentierte sich mit geöffneten Türen, so als könnte die Karre aus dem Westen ihren Liebhaber aus dem Osten kaum erwarten, und sie ließen auch nicht lange auf sich warten, die Liebhaber. Mit offenen Mündern standen sie davor, und in vielen Fällen verließen sie das zirkusähnlich aufgezäumte Gelände früher oder später mit einer dieser Klapperkisten, nach dem Motto: Jetzt darf ich endlich Mercedes fahren. Oder wenigstens Mazda.
Wir guckten uns das drei, vier Jahre lang Tag für Tag an. Der Appetit auf Golf und Co. flaute nicht ab. Und irgendwann saßen wir im Wohngebietspark und ließen uns die Sache durch den Kopf gehen. Offen gesagt: Wir hielten uns für sehr gescheit und alle anderen für ein bisschen doof, weil sie nicht olsenmäßig dachten. Wir dachten olsenmäßig und machten es uns jetzt zur Aufgabe, die Autohändler auszuspionieren. Wie viele Autos verlassen pro Tag mit einem neuen Besitzer den Hof? An welchen Tagen ist der Andrang am größten? Wann ist gar nichts los? Wir bezogen in unserem Auto mal hier, mal da gegenüber einem Händler Posten und beobachteten das Geschehen Stunde um Stunde. Irgendwann konnten wir uns anhand unserer Statistik und der neongelben Preisschilder ausrechnen, wie viel Bargeld dieser oder jener Händler zum Feierabend in seiner Blechbüchse haben musste. Und eines Tages haben wir uns in unserem Auto angeschaut und gefragt: Kieken wir da jetzt zu– oder schlagen wir zu? Tja. Na ja. Dann haben wir die Dämmerung abgewartet und…
Ich muss vorausschicken, dass ich damals mit Russen in Verbindung stand, die fiktive Nummernschilder herstellten und damit handelten. Diese Kennzeichen gab es also gar nicht, die waren nirgendwo registriert. Da habe ich mich mit einem Kumpel nach Hohenschönhausen aufgemacht, wo die Russen ihre Fälscherwerkstatt in einem Asylbewerberheim betrieben, habe mit denen geredet– einige sprachen gebrochen Deutsch–, und der Deal war perfekt.
» Wir brauchen zwei Paar.«
» Alles klar. Zweihundert Mark.«
Okay, habe ich das Geld dagelassen, bin mit den Dingern nach Hause gefahren, habe sie angeschraubt und auf das nächste verkaufsstarke Wochenende gewartet. Dann lief’s wie im Film. Wir in der Dämmerung hingefahren, ausgestiegen, reinmarschiert, die Butterbrotdose mit dem Geld in Empfang genommen, raus, ins Auto, und weg. Das war eine Sache von weniger als fünf Minuten, und anschließend waren wir ziemlich reich.
Wir haben’s nicht übertrieben. Wir haben’s nicht ständig gemacht. Aber hin und wieder. Bis wir eine andere Idee hatten.
Man muss sich vorstellen: Die Leute reagierten nur noch. Auf das schier unerschöpfliche Warenangebot aus dem Westen und auf das Farbengeflacker der Werbung, mit der unser altes, nüchtern-graues Ostberlin mit einem Mal überschwemmt war. Und sie reagierten wie Ausgehungerte. Kein Wunder. Worunter die eine Hälfte der ehemaligen DDR -Bevölkerung anscheinend am meisten gelitten hatte, war jahrzehntelanges Trabi- und Wartburgfahren. Worunter die andere Hälfte offenbar besonders gelitten hatte, war ebenso langes Kochen in standardisierten Plattenbau-Billigküchen. In diesen beiden Punkten schien es jedenfalls den größten Nachholbedarf zu geben, und wo die Gebrauchtwagenhändler eine Lücke im Stadtbild gelassen hatten, da breiteten sich Küchenfachmärkte aus.
So gab es zum Beispiel ein riesiges Küchenzentrum an einem S-Bahnhof, fast von den Ausmaßen eines Baumarkts.
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