So fühlt sich Leben an (German Edition)
Nebenraum zurück, schreibe irgendeinen Quatsch über einen Typen, der eine Perle klarmachen will– » you’re my girl, I’m your man, blablabla…«–, gehe zurück, präsentiere mein Werk, gehe in die Aufnahmekabine und rappe den Piloten ein. Auftrag ausgeführt. Das Ganze hat keine Stunde gedauert.
Alle sind aus dem Häuschen. The Boyz prägen sich meinen Text ein, rappen über meinen Piloten, dann wird der Pilot weggenommen, fertig. Und ich bekomme mein Geld in die Hand gedrückt und bin wieder draußen und küsse die Scheine. Das Album kam in die Charts, und durch Lizenzverkäufe fiel dann noch etwas mehr für mich ab. (Was ich natürlich nicht ahnen konnte: Zwei Mitglieder der Boyz gründeten später die BandIch + Ich, nämlich Adel Tawil und Florian Fischer, Letzterer auch bekannt als Lebensgefährte von Sarah Connor. Die Textfeder bei Ich + Ich führte Annette Humpe.)
In diesem Stil ging es weiter. Bei Hansa hatten sie gemerkt, dass es mit mir funktioniert, dass ich für einen Text nicht den ganzen Tag brauche, sondern maximal eine Stunde, die Aufnahme des Piloten inbegriffen, und zwei Tage später bekam ich den nächsten Anruf. Direkt vom Produzenten. Wieder wegen The Boyz. Und dann noch einen. Und noch einen. Was ich nicht wusste: dass das eine super Referenz für andere Produzenten war. In deren Kreisen hieß es nämlich jetzt: Das Boyz-Album ist in den Charts, wer hat die Sachen geschrieben?– Hagen Stoll. Wenn du ihn brauchst, hier hast du seine Nummer. Und so kam eins zum anderen.
Nebenbei gesagt: Ich nehme solche Aufträge noch heute an. Es gibt genug Produzenten, die schnell einen Text brauchen, und dann wenden sie sich an mich– erst kürzlich habe ich einen Rap auf eine Dance-Nummer geschrieben. Das ist für mich eine Viertelstunde Arbeit, weil meist ein stecknadelkopfgroßer Einfall reicht, um die Leute glücklich zu machen. » Wir brauchen eine richtig catchige Rockline im Elektrobereich«, hatte mir der Produzent gesagt, und ich denke: Rapper machen gern auf Gangster, also schreibst du statt » one, two, three« einfach » one, two, gee«, wobei » gee« für » gangster« steht– also » eins, zwei, Gangster«. Wenn die Sachen dann noch einschlagen… Dem Michael Mind Project habe ich die Raps für zwei Songs geschrieben, » Feel your body« und » Gotta let you go«, und beide Titel schossen auf Anhieb an die Spitze der Klubcharts, gingen in anderen europäischen Ländern ebenfalls gut ab und liefen in den USA sogar auf MTV . Da freut man sich dann so ganz nebenbei auch drüber.
So, und um noch etwas vorwegzunehmen: Die Geschichte einer großen Liebe nahm in diesen Tagen ihren Anfang. Die Liebesgeschichte zwischen dem Hansa und mir. Oder mir und dem Hansa, denn für das mächtige Hansa war ich nur eine Affäre, für den kleinen Gelegenheitsrapper (und Gelegenheitsganoven) Hagen Stoll aber war es eine große, emotional schwer aufgeladene Beziehungskiste, die in eine Ehe mündete, die wie jede Ehe ihre Höhen und Tiefen erlebte und die schließlich mit einer Scheidung endete, wie Ehen das ihrerseits so an sich haben.
Wir waren eben ein sehr ungleiches Paar. Dort ein komplettes Haus voller Studios am Potsdamer Platz, zur damaligen Zeit das einzige Studio Europas mit einer SSL -Oxford-Konsole und einer Sony-Mehrspurmaschine, die knapp zwei Millionen Mark gekostet haben dürfte, sodass jeder, der eine große Produktion auf internationalem Niveau plante, sich an diese Adresse wenden musste. Und hier der, fast möchte ich sagen: Prototyp des Marzahner Wendekids, nicht gerade lupenrein, durchaus zwielichtig, immerhin ziemlich fix im Kopf, immerhin mit einer komischen Mischung von Talenten gesegnet und vor allem mit einem mächtigen Drang Richtung Sterne, wobei bei den Sternen nicht unbedingt Schluss sein musste. Was wäre aus mir geworden, wenn ich dem Hansa treu geblieben wäre, wenn nicht auch ich meine Affären gehabt hätte? Aber diesen Teil der Geschichte möchte ich mir für später aufheben, denn ich ahne, dass ich nicht länger umhinkann, den Fiat Bertone zu erklären.
Der hatte ja einen Haufen Geld gekostet. Sein voller Name lautete FiatX1/9 Bertone, und er war nur als limitierte Auflage im Handel. Außerdem hatte ich ihn mit Spezialteilen aus Italien aufgemotzt und neu lackieren lassen, dunkelblau-metallic. Wer ihn jetzt nicht vor Augen hat, dem sei gesagt: scharf geschnittener, zweisitziger Sportwagen mit Targadach und Mittelmotor, also genau das Richtige für einen, dem mit
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