So fühlt sich Leben an (German Edition)
Eines Tages, kurz vor Feierabend, stehe ich dort an der Kasse und will brav bezahlen. Ich habe noch drei Kunden vor mir, da bemerke ich, dass die Kassiererin eine Ledertasche auf den Knien hat und die Tageseinnahmen in die Fächer im Inneren verstaut. Ich mache einen langen Hals, linse unauffällig an den anderen vorbei und stelle fest, dass haufenweise Geld in dieser Tasche verschwindet– und der ganze Laden hat an die zwanzig Kassen. Ich weiß ja mittlerweile, wie » viel Geld« aussieht. Ich kann in etwa abschätzen, welcher Betrag da gerade in diese Tasche wandert. Und in diesem Augenblick fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Was wir bisher gemacht haben, war Kleinkram!
Ich habe meinen Einkauf bezahlt und bin postwendend in den Wohngebietspark gefahren. » Jungs«, habe ich gesagt, » ein Tipp: Vergesst die Gebrauchtwagen. Und schenkt den Küchenzentren mehr Aufmerksamkeit.«
So wurde es beschlossen. Fortan standen die Küchenfachmärkte von Marzahn unter verschärfter Beobachtung. Und dann erlebten wir eine saftige Überraschung.
Wir fragten uns ja: Wo geht die ganze Kohle hin? Die Antwort bekamen wir gleich am ersten Abend geliefert, und sie war so schlicht wie reizvoll. Ich vermute, es war die Filialleiterin, die gegen zweiundzwanzig Uhr mit vier prall gefüllten Leinenbeuteln aus dem Personaleingang spaziert kam, sich in ihren Corsa setzte und geradewegs zur nächsten Sparkasse fuhr. Dort hielt sie an, stieg aus, ging hinein und deponierte– auch das wiederum eine Vermutung– ihre Leinenbeutel im Nachttresor. Ich weiß noch, wie ich Gonzales angekiekt habe, der neben mir auf dem Beifahrersitz saß.
» Das ist doch nicht deren Ernst?«
» Doch«, entgegnete Gonzales. » Das ist deren Ernst. Und es ist geil, geil, geil!«
Kein Betriebsschutz, kein Werttransporter, keine Security. Ein paar Tage später, wieder vor dem Wochenende, haben wir das erste Ding gedreht. Der Schreckmoment reichte. Ein paar laute Worte, die Leinenbeutel wechselten den Besitzer, und wir hatten die Taschen voller Geld.
Das waren Unsummen.
Das war so viel, dass wir uns künftig mit derartigen Aktionen Zeit lassen konnten.
Schätzungsweise 1997 war’s damit vorbei. Der Wachschutz wurde eingeführt, und das aus guten Gründen, wie man gesehen hat. Und wir waren ja nicht die Einzigen, die auf glorreiche Ideen kamen. Doch wie dem auch sei– uns ging’s gut. Uns ging’s blendend. Wir lebten in Saus und Braus. Eine meiner ersten Anschaffungen war der Bertone (der gleich gefälschte Kennzeichen erhielt). Weitere Anschaffungen betrafen Eileen, die sich jetzt mit Klunkern ohne Ende behängen und in die ausgefallensten Klamotten hüllen konnte, während ich selbst meinem Körper Phönix-Anzüge gönnte und darin aussah wie einem amerikanischen Gangsterfilm der Dreißigerjahre entsprungen. Die Phönix-Leute hatten nämlich verstanden, dass ein Mann in einem Anzug nicht zwangsläufig wie ein Pinguin aussehen muss, die gaben ihren Anzügen einen luftigen, großzügigen Schnitt, und der Hosenbund saß etwas höher, sodass sich Hosenträger anboten. Ich habe diese Anzüge geliebt– und habe immer noch einen im Schrank. Später habe ich sie auch an der Tür getragen; dort haben sie obendrein den Vorteil, dass du dich darin bewegen kannst. An der Tür dürfte ein Phönix heute noch die Nummer eins sein, eben weil man darin nicht feststeckt, weil man darin Platz hat und genau die Bewegungsfreiheit genießt, die man als Türsteher braucht.
Eine meiner allerersten Maßnahmen aber galt meiner Wohnsituation. Seit drei Jahren hauste ich in der Einraumwohnung am Helene-Weigel-Platz, wo die Einrichtung sehr dem Zufall überlassen blieb und im Wesentlichen aus Dosen bestand– Dosen und dazwischen eine Matratze. Mehr brauchte ich nicht, Eileen wohnte sowieso noch zu Hause. 1995 aber kam ein Umzug infrage. Meine Eltern waren nach turbulenten fünfzehn Jahren am Murtzaner Ring in die Ringelnatz-Siedlung umgezogen– ein Neubauviertel, ebenfalls in Marzahn, aber keine Platte, sondern kleine Stadtvillen mit schicken Wohnungen. Eines Tages kamen sie zu mir und sagten: » Hagen, da ist noch eine Wohnung frei.« Warum nicht, habe ich gedacht, nachdem ich die Lage sondiert hatte, ließ mich ebenfalls in der Ringelnatz-Siedlung nieder und verfügte seither über zwei Zimmer, ein Schlafzimmer und ein großes Wohnzimmer (mit besagtem Tonnengewölbe). Von Stund an war Eileen häufig bei mir und zog endlich ganz ein.
Gut, bei Eileen stand ich, angesichts
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