So fühlt sich Leben an (German Edition)
sollen jemanden im tiefsten Frieden umbringen, dann steige ich aus.«
» Es führt kein Weg daran vorbei«, meint der Kommandeur.
» Für mich schon«, erwidere ich.
Von da an habe ich mich danebenbenommen, wo immer sich eine Möglichkeit bot. Erteilte mir ein Unteroffizier einen Befehl, habe ich zurückgeblökt: » Quatsch ordentlich mit mir.« Wollte er dann, dass ich Haltung annehme, habe ich ihm vorgeschlagen, vors Tor zu gehen und die Sache unter uns auszumachen– » Es gibt nämlich nicht nur deine Kasernenwelt hier drinnen, es gibt auch noch eine Welt da draußen.« Oft sind Neumann und ich gar nicht erst zum Dienst erschienen. Mit anderen Worten: Wir gingen in die innere Emigration.
Eines Tages spielten sie auf unserem Flur Krieg, Häuserkampf, und suchten immer wieder hinter den Türrahmen Deckung. Wie im Kindergarten. Da haben Neumann und ich uns einen Spaß erlaubt. Haben auf der Stube gewartet, bis wieder mal einer vor unserer Tür Deckung suchte, haben das Licht gelöscht und die Tür aufgerissen, den Kerl reingezogen, im Dunkeln vermöbelt und wieder rausgeschickt– war halt Krieg. Als Dritten oder Vierten erwischten wir einen Feldwebel. Riesentamtam und erneute Unterredung mit dem Kommandeur.
» Sagen Sie mal, Herr Stoll, was soll das werden?«
» Ich komme mit den Leuten hier nicht klar. Ständig sprechen mich irgendwelche Jüngelchen an und wollen mir was befehlen. Das ist gegen meine Natur.«
Daraufhin führte er den Dienst ins Feld, den wir der Bundesrepublik Deutschland schulden, womit er bei mir erst recht an der falschen Adresse war.
Ich weiß noch, wie sie uns dazu verdonnerten, den Kasernengang zu putzen, und dachten: Damit sind die Jungs einen halben Tag lang beschäftigt. Wir waren aber so schlau, einen Tisch aus der Stube zu nehmen, ihn umzudrehen und vier große Scheuerlappen drunterzulegen. Neumann hat sich in den Tisch gesetzt, ich habe ihn über den Flur geschoben, und nach zwei Stunden waren wir fertig.
Ich musste da raus. Ich musste den Leuten klarmachen, dass ich für diese Art von Diktatur nicht geeignet war. Ich vereinbarte einen Termin mit dem Kasernenarzt und setzte mich morgens ins Wartezimmer. Am Abend saß ich immer noch da. Egal, wie viele Soldaten im Lauf des Tages beim Doktor vorstellig wurden, ich blieb sitzen. Gegen achtzehn Uhr war ich als Einziger übrig, da steckte er seinen Kopf durch die Tür.
» Was wollen Sie denn hier?«
» Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten.«
» Nein, was Sie wollen?!«
» Mich mit Ihnen unterhalten.«
» Ich frage Sie noch einmal: Was– haben– Sie?«
Da bin ich aufgestanden, bin in sein Zimmer marschiert und habe wiederholt: » Ich– möchte– mich– mit– Ihnen– unterhalten. Ich– habe– ein– Problem.«
» Und welches?«
» Ich habe das Gefühl, der Nächste, der mich so anquatscht wie Sie, den haue ich weg, den ramme ich in Grund und Boden.«
Und weil er immer noch nicht zu verstehen schien, habe ich die Glasvitrine mit seinen Medikamenten genommen und zwischen uns auf den Boden geknallt. Worauf er mich ins Bundeswehrkrankenhaus in der Chausseestraße schickte, zu einer Psychologin, wahrscheinlich nicht, ohne meine Akte vorher mit der Notiz » gemeingefährlich« zu versehen.
Ich kam ja mit diesem Umgangston tatsächlich nicht klar. Ich habe auch nie den militärischen Gruß beherrscht. Ich habe immer die Hand mittig über den Kopf gehalten, wie bei den Jungpionieren– für Frieden und Sozialismus! In der Psychologin fand ich endlich eine mitfühlende Seele. » Bevor etwas passiert, weil ich mich falsch verstanden fühle…«, sagte ich ihr, und sie verstand mich genau. Möglicherweise stammte die entscheidende Empfehlung an den Kommandeur von ihr.
Jedenfalls waren sie das Theater mit uns wenig später leid. Mit denen können wir nüscht anfangen, werden sie sich gesagt haben, die bringen uns die Truppe durcheinander, und versetzten uns in einen Zug, der nur aus Querschlägern wie mir bestand. Da waren Bekloppte aller Art drin, Zuhälter und Türsteher, sodann Gronke, der Sicherheitschef einer Ostberliner Diskothekenkette, und André Mewis, der Weltmeister im Vollkontaktkarate, also alles Jungs, die draußen gut zurechtkamen, und ich und Neumann mittenmang. Danach habe ich mich zum ersten Mal wohlgefühlt beim Bund. Es kam allerdings auch keiner mehr und brüllte: » Angetreten!«
Einige Wochen später hieß es: » Der Kommandeur möchte euch sprechen.« Wir befürchteten, uns wieder was
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