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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagen Stoll
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der Entwicklung, obenauf. Aber bei Waffel war ich unten durch.
    Eines Tages trafen wir uns an einer Bushaltestelle. Waffel wartet auf den Bus, und ich komme mit meinem Bertone an, Goldkettchen, Phönix-Anzug, Sonnenbrille, Verdeck offen, Eileen neben mir. Der King aus Marzahn. Ich freue mich wahnsinnig, Waffel zu sehen, halte an, steige aus, sage gut gelaunt: » Na, Alter, wie geht’s dir?«, und alles, was Waffel antwortet, ist:
    » Wie siehst du denn aus?«
    » Mann«, sage ich, » ick mach Kohle. Was’n los?«
    Und er: » Guck dich doch mal an. Det bis doch nich du.«
    Und ich gestehe, das saß. Ich habe ihn stehen lassen und bin weitergefahren, aber das habe ich nie vergessen– wie ich meinen Mentor auf der Straße treffe, an der Bushaltestelle, und er hat nur noch Verachtung für mich übrig.

14 | Querschläger
    Waffel hieß übrigens eigentlich Torsten, für mich der typische, der klassische Ost-Name schlechthin. Torsten. Das ist DDR pur. Wenn ich daran denke, wird mir seine Abfuhr noch unheimlicher. Vielleicht sollten wir eine Atempause einlegen? Ich könnte etwas über meine Eltern erzählen.
    Nein, könnte ich nicht.
    Weil ich zu dieser Zeit mit meinen Eltern kaum Kontakt hatte. Sie wohnten ein paar Häuser weiter, aber ich war ständig unterwegs, nach Weißensee, zum Wohngebietspark, nach Potsdam in die Uhlandstraße, zum Hansa am Potsdamer Platz, in Sachen Rap, in Sachen Gebrauchtwagen, in Sachen Küchenzentren.
    Einerseits war ich hin- und hergerissen zwischen Rap und Kohlescheffeln. Lag mir an meiner Musik nicht doch mehr? Lag mir nicht alles daran? Andererseits konnte ich meinen Kumpeln nicht einfach sagen: » Nee, mach ich nich«, wenn sie neue, mächtig gewaltige Pläne ausgebrütet hatten. Einfach aussteigen ist dann nicht mehr. Also das nächste Ding durchgezogen. Inzwischen waren meine Jungs (ich eingeschlossen) gut organisiert, wir hatten beste Kontakte in alle Richtungen. Da kam mir was dazwischen.
    Erfreut war ich nicht, als mir der Musterungsbescheid ins Haus flatterte. Jetzt auch noch für zwölf Monate zum Bund? Eigentlich war ich ausgelastet. Natürlich habe ich mit meinen Kumpeln darüber gesprochen, wie man sich drückt. Aber ich neige im wahren Leben nicht zur Schauspielerei. Gehst du hin, habe ich mir gesagt, und bin zum Kreiswehrersatzamt Köpenick gefahren. So wurde ich Jäger. Glück im Unglück, dachte ich, Jägerbataillon, also Bodentruppe, die liegen wahrscheinlich hier gleich um die Ecke, da brauchst du wenigstens nicht in die Ferne, und ich hatte recht. Die Kaserne stand in Berlin-Kladow.
    Ich beschloss, die Sache als Abenteuerurlaub aufzufassen; Granatenschmeißen kannte ich ja von den Sportfesten der Pioniere. Doch, offen gesagt: Mich hat’s vom ersten Tag an angekotzt. Dieser Befehlston, diese unverschämte, ruppige Art, mir zu sagen, wo ich mich hinstellen soll. Von den sechs Mann auf meiner Bude konnte ich nur mit Neumann was anfangen, einem Gleisbauarbeiter; der kam wie Gillert aus Hellersdorf und war ähnlich drauf wie ich. Im Grunde war ich mit fast zweiundzwanzig Jahren zu alt für diesen Kinderkram. Durch die Grundausbildung habe ich mich zunächst trotzdem halbwegs unauffällig durchgemogelt– bis zu dem Tag, als Wachausbildung auf dem Plan stand.
    Mit anderen Worten: Bei dem Vortrag des Feldwebels ging es um das korrekte Verhalten von Soldaten, die gerade vor dem Tor stehen oder nächtliche Runden übers Kasernengelände drehen. Ich saß mit Neumann in der letzten Reihe und kippelte nervös und gelangweilt mit dem Stuhl, so wie damals, in der Schule, als der Feldwebel sagte: » Eindringlinge werden auf dem Kasernengelände mit vorgehaltener Waffe gestoppt. Und wenn einer nicht stehen bleibt– draufhalten.« Also schießen. Sogar von Fangschuss war die Rede. Was redet der da?, dachte ich und habe mich gemeldet.
    » Was wollen Sie?«
    Ich: » Habe ich richtig verstanden? Wir sollen die erschießen? Wohl, damit hinterher keine bürokratischen Verwicklungen entstehen? Ist das Ihr Ernst?«
    Er: » Das ist mein Ernst.«
    Ich: » Dann melde ich mich hiermit offiziell ab.«
    Und Neumann: » Ich sehe das übrigens genauso.«
    Sind wir beide aufgestanden und auf die Stube gegangen. Worauf der Ärger losging. Wir wurden zum Kommandeur gerufen– Stoll und Neumann verweigern die Teilnahme an der Wachausbildung. Er fragt mich, ob ich Probleme hätte.
    Ich schildere ihm den Fall und sage: » Alles schön und gut mit eurer Hierarchie hier. Aber wenn ihr Kindern erzählt, sie

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