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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagen Stoll
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noch übler drauf sind, wenn sie rauskommen. Zu Letzteren wollte ich nicht zählen. Ich wollte nie wieder eine Zelle von innen sehen. Es musste sich jetzt abrupt was ändern. Waffel hatte recht gehabt.
    Besuch habe ich in Bernau nicht erhalten. Meine Mutter wusste von nichts, und ich habe auch keinen Besuch gewünscht. Mir war die ganze Sache im höchsten Maß peinlich. In meinen Augen waren Leute, die sich erwischen ließen, Dummköpfe. Die waren halt zu blöd gewesen. Und wie hatte Muttern immer gesagt? » Lass dich nicht erwischen.« Also, wenn sie dich schnappen, dann bist du kein gewiefter Ganove, und wenn du schon kein gewiefter Ganove bist, dann soll’s wenigstens keiner mitkriegen. Wobei mein Fall besonders dämlich war– setzt alles aufs Spiel, nur weil er eine Tankstelle für einen Selbstbedienungsladen hält… Größenwahn macht eben blöd, und man selbst bekommt es nicht mal mit.
    Für die Verhandlung wurde mir ein sehr guter Anwalt zugeteilt. Trotzdem wäre ich wohl für etliche Jahre wegen Raubs und versuchten Totschlags weggesperrt worden, hätte ich nicht ein Riesenglück gehabt.
    » Weißt du eigentlich, warum du nicht in den Knast wanderst?«, sagte mein Anwalt hinterher zu mir.
    » Nee, weeß ick nich.«
    » Wegen deiner dritten Bremsleuchte.«
    » Wie?«
    » Du hast in deinem Bertone doch eine dritte Bremsleuchte. Unten im Rückfenster. Und auf der Videoaufnahme der Tankstelle ist zu sehen, dass die dritte Bremsleuchte in dem Moment aufleuchtet, als die Kassiererin vor deiner Karre den Schritt zur Seite macht. Du hast im entscheidenden Augenblick gebremst! Also hattest du nicht vor, sie zu überfahren. Also war’s kein versuchter Totschlag.«
    Ich konnte mich nicht erinnern. Aber der versuchte Totschlag war damit vom Tisch.
    Ich erhielt eine Bewährungsstrafe. Und die Chance auf einen Neuanfang.
    Jetzt konnte ich darangehen, die Scherben zusammenzukehren. Die meiner bisherigen, schlichtweg kriminellen Existenz– und die meiner Liebe zu Eileen. Das Ende war gekommen, nachdem ich aus der Untersuchungshaft entlassen worden war.
    Es folgte eine schmerzhafte und unschöne Trennung. Sie wollte in Urlaub fahren. Ohne mich. Von einem anderen Typen war allerdings auch nicht die Rede. Koscher kam mir die Sache trotzdem nicht vor. Wir teilten uns ja die Wohnung in der Ringelnatz-Siedlung, und ich habe gesagt: » Pass auf, du zahlst hier keine Miete, das ist für mich okay. Aber dein Geld nehmen und damit ohne mich in Urlaub fahren und weiterhin umsonst hier wohnen, das ist nicht. Sei sicher, dass bei deiner Rückkehr blaue Müllsäcke vor der Tür stehen werden.« Sie ist trotzdem gefahren, und ich habe Wort gehalten. Im Nachhinein ist mir zu Ohren gekommen, dass sie doch mit einem anderen unterwegs war. Jedenfalls kam sie zehn Tage später nach Hause, klopfte an die Tür und wollte rein. Die Müllsäcke standen wie angekündigt vor der Tür, das Schloss war ausgetauscht, und ich blieb hart. » Geh mir aus den Augen!«
    Im Urlaub hatte sie wohl gemerkt, dass mit dem Typen nichts lief, und wollte nun reumütig zu mir zurück, obwohl ich sie vorher vor die Wahl gestellt hatte: Entweder, du bleibst und wir machen uns Gedanken darüber, wie wir unser Leben jetzt, unter den neuen Umständen, gemeinsam bestreiten und gestalten, oder du fährst…
    Aus unserer Liebe war nach sechs Jahren eine Hassliebe geworden, wir konnten nicht mehr ohne und wir konnten nicht mehr miteinander. Grundsätzlich hätte ich gegen Heiraten nichts einzuwenden gehabt. Immer mehr von meinen Kumpeln wurden Väter, und ich dachte mir: Warum eigentlich nicht? Wenn du die richtige Frau dafür finden würdest…

16 | Der Türsteher im Hansa Tonstudio
    Wann genau ich meine Pistole verkauft habe, weiß ich nicht mehr. Etwa in dieser Zeit. Einige Jahre lang war sie mein ständiger Begleiter gewesen, aber jetzt hatte ich keinen Bedarf und keine Verwendung mehr für sie.
    Jedoch erinnere ich mich genau, wie und wann es zu meinem allerersten Tattoo kam. Zwei Wochen nach der Entlassung aus der U-Haft habe ich mir auf den rechten Arm den Satz » One day it will all make sense« stechen lassen, in einer Drei-Quadratmeter-Küche im Plattenbau, von einem absoluten Amateur. Man sieht, es ist schlecht gestochen, aber egal, ich mag es so, wie es ist. » Eines Tages wird alles einen Sinn ergeben.« Entworfen von mir selbst, in alter Graffiti-Manier. Warum? Weil ich’s mir im wahrsten Sinn des Wortes hinter die Löffel schreiben wollte, hinter den

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