So fühlt sich Leben an (German Edition)
verflucht habe. Oder das Warner-Logo. Habe ich mir tätowieren lassen, nachdem wir den Vertrag mit Warner Brothers unterschrieben hatten. Nur bei meinen Kindern habe ich eine Ausnahme gemacht. Zwei Kinder, zwei Hände, habe ich gedacht und mir ihre Namen, Timea und Paul, auf die Hände stechen lassen. Auch mein letztes Tattoo gehört nicht eindeutig nach rechts oder links. » Sad but true« steht auf meinem Bauch. Das hängt mit der Trennung von Kati zusammen, meiner Frau. » Traurig, aber wahr.« Es funktioniert auch umgekehrt: Wahr, aber traurig. So ist das Leben ab und an, und so war es im Herbst 1997.
Ich brauchte Einkünfte. Feste, legale Einkünfte. Wie hatte Gronke gesagt, Sicherheitschef bei der Ostberliner Diskothekenkette Fun und mein Kumpel im Querschlägerzug bei den Jägern? » Weeste, Stolli, wenn du mal Geld brauchst– komm zu mir, dann machen wir det schon.«
Die Sache hatte eine gewisse Dimension; man muss sich vorstellen: Die Fun-Diskotheken waren Riesenkästen, die hatten am Wochenende einen Durchlauf von zweieinhalb- bis dreitausend Gästen pro Laden, und Gronke beschäftigte und dirigierte zwischen drei- und vierhundert Türsteher. Ich hatte ihn schon vor etlichen Monaten angerufen und war gleich willkommen gewesen. Sehr imposant, wie er wohnte, mit einer Pumpgun an der Wohnzimmerwand, auf die er viel zu stolz war, als dass ich lange auf eine entsprechende Bemerkung hätte warten müssen. » Hier übrigens meine Hausordnung«, sagte er zur Begrüßung mit einem Seitenblick auf diese Pumpgun. Meinem Einsatz stand jedenfalls nichts im Weg. » Wir brauchen gute Jungs«, sagte er, » keene Flitzer, die sich bei Rambazamba in Luft auflösen. Det Wochenende fährste nach Teltow.«
So hatte es im Frühsommer angefangen. Jetzt konnte ich vor dem Fun in Teltow weitermachen, und für die nächsten Jahre sah mein Arbeitsleben etwa folgendermaßen aus: fünf Kollegen drinnen, fünf Kollegen draußen. Um acht Uhr abends da sein, eine Stunde später Einlass, morgens zwischen sechs und sieben Dienstende, anschließend Umzug in eine benachbarte Kaschemme und im trauten Türsteherkreis die Erfahrungen der letzten Nacht austauschen. Oder die alten Storys zum Besten geben, die für mich einstweilen alle neu waren.
Türsteher, sagt man heute. Rausschmeißer, hieß es früher. Wir sagten damals: Einlasser. Läuft alles auf dasselbe hinaus: Unsereins hatte dafür zu sorgen, dass die Leute imFun ungestört ihrem Vergnügen nachgehen konnten. Oder, wie Gronke sich auszudrücken pflegte: » Ihr seid nicht hier, um eine Fresse zu ziehen, sondern um den Gästen einen schönen Abend zu garantieren. Also erst mal höflich sein.« Deshalb belegst du bei der IHK keinen Nahkampfkurs, um an ein Personenschutz-Zertifikat zu kommen, sondern einen langweiligen und realitätsfernen Deeskalationskurs. Deeskalieren lernt man dann an der Tür von den erfahrenen Kollegen. Von Leuten wie Steffen und Bensing zum Beispiel.
Bensing war ein Zwei-Meter-Mann mit einem Diamanten im Zahn und einer Stimme, die aus einem Whiskeyfass zu kommen schien. Steffen dagegen war nicht größer als ein Meter fünfundsechzig, aber ein Monster. Nach seiner Herkunft befragt, fing er an zu erzählen: Fallschirmjäger im Osten, Eliteeinheit, knallharte Jungs. Wenn er mit einem Ärger bekam, sah er seinen Kontrahenten nicht an. Dann schoss sein Blick durch den anderen hindurch, dann spießte er ihn förmlich mit den Augen auf, und dann langte er zu. Steffen hat Typen umgehauen, da hättest du gewettet, dass er den Fight verliert. Trainingshalber pflegte er sein Schienbein mehrmals hintereinander gegen den Türrahmen zu knallen, als wären seine Unterschenkel aus Stahl. Bildeten schon eine eigene Gilde, die Türsteher. Und jeder ein Unikat.
Ich fand’s ungemein lustig. Als Ausstattung reichten der schwarz-weiße Phönix-Anzug, ein Schlagring und ein Paar Quarzsandhandschuhe, die zog ich über, sobald sich Ärger ankündigte, und trug sie ansonsten in der Gesäßtasche. Von Stichschutz war damals keine Rede, dafür gab’s einfach noch keinen Bedarf, aber Quarzsandhandschuhe waren hilfreich, wenn einer mit Terminatormiene und Bierkrug in der Faust auf dich zugerannt kam; die schützen die Hände und verleihen einem Schlag Nachdruck.
Ich wusste ja, dass ich eine gute Rechte hatte. Was ich an der Tür dazugelernt habe, war, das Überraschungsmoment zu nutzen und gegebenenfalls der Erste zu sein. Wobei es in erster Linie ums Schlichten und Besänftigen ging.
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