So fühlt sich Leben an (German Edition)
Löffeln aber nicht genug Platz dafür war. Gedacht als bitter nötige Ermutigung: Gib die Hoffnung nicht auf, Junge, irgendwann wirst du verstehen, warum alles so gekommen ist. Und dann wirst du aus dieser Scheiße herausfinden, in die du dich reingeritten hast.
Die Erinnerung an dieses erste Tattoo bleibt schon deshalb wach, weil es sich schwer entzündet hat. Kein Wunder. Ich wollte nicht warten, bin einfach in diese Plattenbauküche reinmarschiert– los, mach das jetzt drauf–, und dann hat sich der Typ eine dieser Tätowiermaschinen aus dem Knast gegriffen, mit Kugelschreibermine, hat losgelegt und freundlicherweise nichts dafür genommen. Der Satz stammt übrigens von Common Sense, einem meiner Lieblings-Rapper aus den USA , der hatte ein Album unter diesem Titel herausgebracht.
» One day…« Ich träumte davon, etwas mehr Harmonie in mein Leben einfließen zu lassen. Bisher war es ein einziges Durcheinander gewesen, ein schäumendes, brausendes Durcheinander, ein pausenloses Powerplay, viel zu viel für einen jungen Menschen. Jetzt, der U-Haft glücklich entronnen, fühlte ich mich wie jemand, der langsam zu sich kommt. Mir dämmerte: Wenn du so weitermachst, fährst du die Karre gegen den Baum, und zwar mit zweihundertzwanzig Stundenkilometern. Plötzlich habe ich mir eine Familie gewünscht. Eine Frau an meiner Seite, die mich, wenn nötig, auf den Boden der Tatsachen holt. Und Liebe. Liebe im Übermaß. Auch jemanden, bei dem ich nicht ununterbrochen stark sein musste. Dieser Zwang, immer stark sein zu müssen, trifft dich irgendwann von hinten wie eine Baseballkeule und haut dich von den Beinen. Du knickst ein, brichst zusammen und willst nur noch weinen. Im Lauf der Zeit, die mich als Mensch geformt hat, bin ich dahintergekommen: Mit der ewigen Siegerpose ruinierst du dich selbst. Nur ein Schwachkopf hält sich für perfekt. Wer klug ist, gesteht seine Schwächen ein. Die Stärke, die du entwickelst, und die Schwäche, die trotz allem dein ständiger Begleiter bleibt, sie gehören zusammen.
Es ist natürlich von einiger Brisanz, als Künstler zu seinen Schwächen zu stehen, sie womöglich in seinen Songs zum Ausdruck bringen zu wollen. Andererseits wäre es dumm, die Leute so lange mit seinen Stärken an der Nase herumzuführen, bis sie die Schwächen von selbst bemerken. Also habe ich mich irgendwann auf die Bühne gestellt und es einfach zugegeben: Hört her, ich mache Fehler. Ich habe meine Schwächen. Ich will gar nicht perfekt sein, weil ich nicht perfekt sein kann. Und bei meinen Live-Auftritten mit Haudegen merke ich: Die Leute nehmen es gar nicht krumm, wenn ich mal düsterer gestimmt bin oder mir Fehler in einer Textzeile unterlaufen. Ich habe einen Song, der heißt » Dein Zimmer«. Mir war nicht klar, wie viele Fallen ich da eingebaut hatte, aber– jede Strophe beginnt mit denselben Worten, und jedes Mal, bei jedem Konzert, singe ich diesen Titel anders. Am Ende macht das weder mir noch meinem Publikum was aus.
Nichts erzwingen wollen. Nicht alles im Griff haben wollen. Hast du sowieso nicht. Wenn du aus dem Haus gehst und denkst: Heute wird der beste Tag meines Lebens, kannst du fast sicher sein, dass es ein beschissener wird. Trittst du aber mit dem Gefühl vor die Tür, aus diesem Tag kann nichts werden, läuft auf einmal alles bombig. Mit anderen Worten: Hast du dir erst einmal angewöhnt, über deine eigene Unvollkommenheit zu lächeln, kannst du dich nicht mehr lächerlich machen.
Ich wollte mir nicht verheimlichen, was in meinem Leben schiefgelaufen war. Genauso wenig wollte ich jemals vergessen, was an Glück für mich abgefallen war. Ich kam auf die Idee, meine Erfahrungen auf meinem Körper zu verewigen. Da habe ich mich in zwei Hälften geteilt. Auf der rechten Seite habe ich alle schmerzhaften Erinnerungen festgehalten, auf der linken alles, was mir an Gutem widerfahren ist. Rechts ist ein kleines Männchen bei einem Drahtseilakt zu sehen. Es hat zwei Masken, eine auf dem Gesicht und eine in der Hand. Die eine lacht, die andere weint. Das bin ich. Oder der Lügenbaron Münchhausen. Er erinnert mich an meine Schulzeit, als ich gelogen habe, dass sich die Balken bogen. Er reitet auf einer fliegenden Kanonenkugel. Auch das bin ich, auch so habe ich mich gefühlt. Marzahn wiederum gehört auf die linke Seite. » Marzahn 126« steht da, weil alle Postleitzahlen von Marzahn mit 126 beginnen. Und es ist nun einmal so: Marzahn war eine gute Schule für mich, obwohl ich es oft
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