So fühlt sich Leben an (German Edition)
Also war ich gleichzeitig zuvorkommend und konsequent. Meine Grundregel lautete: Sag dreimal bitte. Das war aber ganz allgemein der Stil an der Tür; meine Kollegen waren ja keine hirnlosen Raufbolde, die hatten ihre Prinzipien, die besaßen auch gehöriges Taktgefühl und waren durchaus eloquent.
Mir gefiel’s jedenfalls an der Tür. Natürlich hast du anfangs zu viel gekriegt, wenn sich vor deiner Tür schon wieder aufgepumpte Jungs mit kolossalem Profilierungsdrang stauten und jedes Auto, das sich näherte, verdächtig fanden– als würden sich Zivilbullen der Mühe unterziehen, Maulhelden wie sie zu observieren. Diese paranoiden Spinner fand ich schwerer zu ertragen als Gäste, die zu angetrunken waren, um den Ernst der Lage einzuschätzen. Meist blieb es in diesen Fällen bei einem zielstrebigen An-die-Tür-Begleiten. Ansonsten habe ich schön die Schnauze gehalten, mich nicht an den üblichen Rangstreitigkeiten beteiligt– wer macht die meiste Kohle, wer kann das geilste Handy aus der Tasche ziehen– und brav mein Ding gemacht. Im Übrigen war dieser Job ein Geschenk des Himmels. Die Mädels fanden uns bewundernswert, also kleiner Flirt hier, kleines Tête-à-Tête auf der Toilette da, am nächsten Morgen gleich das Honorar in Empfang genommen und ciao, bis zum nächsten Wochenende. Ich hatte dann jeweils so viel Geld verdient, dass es für die ganze Woche reichte, mithin Zeit genug, durch die Gegend zu gondeln, im Army-Shop einzukaufen und Musik zu machen.
Musik, das vor allem. Mit neuem Elan, mit neuem Equipment und mit ganz neuen Perspektiven.
Sven Meisel hatte schon mitbekommen, dass ich jetzt an der Tür arbeitete. Es störte ihn nicht. Er und Alex glaubten weiterhin an mein Talent. Und ich hatte fünfzehntausend Mark, den Vorschuss für meine Autorentätigkeit im Hansa. Wie schon berichtet, habe ich mir davon eine Ausrüstung gekauft, einen Macintosh-Rechner, einen Akai-S600-Sampler, Zip-Laufwerke, Boxen, ein Mikrofon, und damit zu Hause mein erstes eigenes Studio eingerichtet. Allerdings nicht in der Ringelnatz-Siedlung. Aus der Wohnung, die ich mit Eileen geteilt hatte, war ich ausgezogen, hatte Marzahn zum ersten Mal den Rücken gekehrt und mich in der Josef-Orlopp-Straße in Lichtenberg angesiedelt. Seither hieß mein Mitbewohner Danny.
Danny war ein DJ aus Hohenschönhausen, ein begeisterungsfähiger Mensch und ein Hundertprozentiger, so wie Waffel, so wie ich. Hundertprozentige haben immer große Pläne, und unser Plan war, den deutschsprachigen Hip-Hop umzukrempeln. Im Grunde war unsere Wohngemeinschaft die Arbeitsgemeinschaft von zwei Rap-Besessenen, die die Zeit zwischen Aufstehen und Schlafengehen damit zubrachten, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen, Einfälle auszubrüten und umgehend auszuprobieren, was ihnen alles unter der Hirnschale spukte. Ich hatte immer noch Auftritte, konnte aber nicht davon leben, stand also hauptsächlich aus Spaß an der Freude auf der Bühne, und jetzt wollten wir unsere entfesselten Energien in neue, produktive Kanäle lenken.
Wir nannten uns Analphabeten und machten Underground-Rap auf Deutsch. Warum eigentlich auf Englisch rappen, fragten wir uns. Das ist doch Quatsch, das versteht ja keiner. Die Fanta4 hatten es vorgemacht, es ging also, und jetzt merkten wir, wie genial diese Umstellung war. Plötzlich war man nicht mehr auf ein paar simple Standardthemen festgelegt, plötzlich konnte man die ganze mehr oder weniger stachlige Wirklichkeit in seine Texte einfließen lassen und eigene Erfahrungen, eigene Beobachtungen, eigene Gefühle unterbringen, ohne befürchten zu müssen, das Publikum zu überfordern. Und mit einem Mal wurden unsere Texte scharfsichtiger, ehrlicher, auch drastischer.
Für unsere Nachbarn in Lichtenberg muss es eine Qual gewesen sein. Unsere Bude war von vorn bis hinten auf Musikmachen ausgelegt. Sie lag oben unterm Dach, und das Wummern unserer Bässe war bis in den ersten Stock zu hören. Während Danny das Mittagessen zubereitete– Schnitzel mit Mischgemüse–, bastelte ich an den Beats für unsere erste Platte weiter, immer in dem berauschenden Gefühl: Jetzt wird’s ernst. Jetzt wird’s ernst. Ich hatte DJ KnickNeck lange genug über die Schulter geschaut, um zu wissen, wie man Tracks produziert. Da klingelte das Telefon. Waffel rief an.
Ja, Waffel. Wir redeten wieder miteinander. Wir hatten uns ausgesprochen. Damit war für ihn alles klar, Waffel war nicht nachtragend. » Wir müssen uns treffen«, sagte er. » Ich habe
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