So fühlt sich Leben an (German Edition)
Glatzen über mir, vor gar nicht so langer Zeit auf dem Bürgersteig gekrümmt und um Gnade gewinselt hatte.
Irgendwann war’s nicht mehr lustig. Gelegentlich übernachtete Eileen bei ihren Eltern, und ich erinnere mich, dass ich manches Mal mit dem Auto unter ihrem Fenster gestanden und nur geweint habe. Nein, ich hatte mich nicht daran gewöhnt. Ich war traurig, dass es so gekommen war. Ein kräftiger Wermutstropfen in meinem Glück, das mich ansonsten mit immer neuen Gunstbeweisen überhäufte.
Eines Tages lud mich Sven Meisel ein, ihn in der Wittelsbacher Straße zu besuchen. Er sei daran interessiert, mit mir als Autor weiterzuarbeiten.
Als Autor?
Ich war Rapper. Ich war einer, der an den Wochenenden auf Jams sein Programm durchzog. Und auf einmal war ich für den Chef einer Verlagsgruppe ein Autor? Sven Meisel hatte natürlich längst gemerkt, wo ich herkam, von der Straße eben. Vielleicht wollte er mich aus dem Sumpf ziehen. Jedenfalls bot er mir bei unserem Treffen einen Vertrag an, zu dem ein Vorschuss gehörte, und als er mir die Höhe dieses Vorschusses nannte, bin ich fast umgekippt. Fünfzehntausend Mark! Ob das sein Ernst sei, wollte ich wissen.
» Ja«, sagte er. » Du hast für dieses Boyz-Album schon fünf oder sechs Titel geschrieben, und wir gehen von einer Verkaufserwartung von dreihundertfünfzigtausend Stück aus. Also, hast du Lust?«
Ich schluckte. » Ja. Habe ich.«
Um ehrlich zu sein: Es ging mir nur ums Geld. Wenn einer so wahnsinnig ist, mir fünfzehntausend Mark für ein paar Texte zu geben, sage ich halt Ja. Ich habe mir noch in derselben Minute den Füllfederhalter reichen lassen und unterschrieben. Kein Anwalt hat je einen Blick auf den Vertrag geworfen. Sven Meisel war für mich absolut vertrauenswürdig, und es war die richtige Entscheidung, er hat mich nicht abgezockt, er war aufrichtig, er hat es gut mit mir gemeint.
Ein historischer Augenblick, könnte man sagen. Zum ersten Mal in meinem Leben verdiene ich mit dem, woran mein Herz hängt, richtig viel Geld. Allerdings bin ich nicht so blöd, diese Summe auf den Kopf zu hauen. Ich investiere in meine Unabhängigkeit. Damit ich nicht mehr nach Potsdam fahren und DJ KnickNeck um Beats anbetteln muss, kaufe ich mir einen Sampler, ein Mikro, einen Computer, Zip-Laufwerke, alles, was man braucht, um selbst Musik produzieren zu können, das ganze Equipment. Und als ich mich schon dolle auf eine sensationelle Doppelkarriere als Rapper und Ganove freue, nimmt das Jahr1997 erst richtig Fahrt auf. Jetzt wird’s turbulent.
Bisher war uns die Polizei nicht auf die Spur gekommen. Und wir dachten: Nach uns die Sintflut. Wir haben die Kohle, uns kann keiner was, uns gehört die Welt. Wir sind die Herren des Universums. Wir machten einfach, was wir wollten, wie die Neonazis von Marzahn. An einem schönen Sommertag fuhren wir raus nach Buch im Norden von Berlin, eine Clique von zehn, zwölf Leuten, alle in den krassesten Autos, ich im Bertone, einer meiner Weißenseer Kumpels neben mir. Wir waren auf eine Party eingeladen und hatten die geilsten Torten am Start. Unterwegs fiel uns ein, dass wir unmöglich ohne Geschenke auftauchen konnten, steuerten eine Tankstelle an, marschierten rein und holten raus, was uns sinnvoll erschien: Wodka, Whiskey, kästenweise Bier. Wie die Gangster– einfach alles mitgenommen, ohne ein Wort zu sagen, und in die Autos gepackt, nebenbei noch getankt, uns drinnen ein letztes Mal umgesehen, aha, ein paar Tüten Chips könnten auch nicht schaden, und Bier kann man nie genug haben, so, das reicht jetzt, und ab in die Autos, auf nach Buch.
Die Frau von der Tankstelle hatte die ganze Zeit rumgeschrien. Und jetzt, als ich den Motor anlasse, kommt sie rausgelaufen und baut sich vor meinem Wagen auf.
» Ihr fahrt nicht weg, ohne zu bezahlen! Ich habe die Bullen gerufen!«
Ich lasse das Fenster runter. » Gehen Sie mal zur Seite?«
» Nein, ich bleibe hier stehen!«
Na gut, ich tippe das Gaspedal an, mache ein bisschen Krach, es heult, es röhrt, sie springt zur Seite, und ich fahre mit quietschenden Reifen los.
Wir überlegen. Die Alte wird definitiv die Bullen gerufen haben. Bis Buch sind es fünf Kilometer. In Buch kenne ich mich nicht aus. Und Buch ist klein, da ist nichts los, da fallen wir dermaßen auf… da würden sie uns gleich von der Party weg verhaften. Besser, wir fahren zurück nach Berlin. In Marzahn bin ich mit allen Strecken vertraut. Da wäre es nicht so fürchterlich schwer, die Bullen zum
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