So fühlt sich Leben an (German Edition)
das Entertainer-Gen hast– kein Problem; alle anderen nehmen vor so viel Liebe Reißaus. Ganz abgesehen davon, dass die Liebe auch auf einem Missverständnis beruhen kann und dein Publikum am Ende was in dir sehen möchte, was du nicht bist. In jedem Fall heißt die Grundregel: keine Angst– ob du vor fünf oder fünfhundert oder fünftausend Leuten stehst. Und ich genieße es wie eh und je. Alle Blicke auf mich gerichtet! Bitte! Jetzt! Ich lebe davon, ich atme dadurch, ich sauge es ein und finde es toll. Nein, es sollen mich nicht alle gut finden. Nur ihre Aufmerksamkeit will ich haben, die sollen sie mir schenken. Und die wurde mir, bald nach meiner Rückkehr aus Amerika, auch zuteil.
Eines Tages klingelte das Telefon. Am anderen Ende war Elle von Aggro Berlin. Aggro Berlin war, wie gesagt, das größte deutsche Hip-Hop-Label überhaupt, und Elle sagte: » Wollen wir nicht zusammenarbeiten? Du produzierst doch viel. Willst du nicht ein paar Remixe für uns machen?« Sollte heißen: für Sido, für Fler, für B-Tight. Für die Oberklasse des deutschen Rap. Habe ich erst mal durchgeatmet. Für Aggro zu arbeiteten bedeutete: Du hast es geschafft. Die waren die Größten, Besten, Erfolgreichsten. Die hatten den großen Firmen als Unabhängige gezeigt, wie’s funktionieren kann. Also habe ich angefangen, in meinem Studio im Hansa Remixe für Aggro zu produzieren, und eine Zeit lang war ich auf jeder Single präsent. Nebenher war ich Joe Rilla und hoch angesehene Putzkraft bei Angelikas Butze.
Und das war erst der Anfang. Irgendwann fahre ich wieder zu Aggro, gebe meine Remixe ab, nehme mein Geld in Empfang, da nimmt mich Elle zur Seite.
Er: » Rilla, wollen wir nicht noch näher zusammenrücken?«
Ich: » Wie soll das denn aussehen?«
Er: » Wir nehmen dich unter Vertrag.«
Ich: » Na ja. Ich bin unter Vertrag. Bei Sven Meisel. Allerdings läuft der bald aus. Also könnte ich mich mal mit Sven unterhalten. Was hast du vor?«
Er: » Ich hätte gern, dass du unser Haus- und Hofproduzent wirst.«
Uff.
Das sieht nach dem Weg an die Spitze aus.
Das hört sich an, als wäre ich jetzt da, wo ich hinwollte.
Aber es war kein leichter Gang ins Zimmer von Sven Meisel.
» Pass auf, Sven«, habe ich gesagt, » was kannst du noch für mich tun? Kannst du mich weiterbringen?«
» Nein, kann ich nicht«, entgegnete er. » Mir sind die Hände gebunden.«
Da habe ich ihm vom Aggro-Berlin-Angebot erzählt, und Sven war so kulant, mir keine Steine in den Weg zu legen. » Jeder muss seinen Weg gehen«, sagte er, und: » Ich freue mich für dich.«
Er hätte auch sagen können: Nö, du bleibst hier. In dem Fall wäre aus Aggro nichts geworden. Und dann kam meine letzte Woche im Hansa. Ich musste alles einpacken und ausziehen. Es war richtig so, trotzdem habe ich mich verdammt elend gefühlt. In meinem Studio hatte ich ein Riesenpult, eigens für mich von einem Zimmermann angefertigt, die Konsole, an der ich gearbeitet hatte, und es war erschütternd, mit anzusehen, wie jetzt alles rausgerissen wurde, bis nur noch ein Skelett übrig blieb. Ich hatte mein Studio im Hansa geliebt. Es war jahrelang mein Arbeitsplatz gewesen, mehr noch, meine Welt, und es tat weh, alles auszubauen, einzupacken und von Bord zu gehen. Derzeit hat Grönemeyer die ganze Etage gemietet.
Vielleicht komme ich irgendwann zurück.
Aber es war ja meine Entscheidung gewesen. Sven hatte mich am Ende nicht genug unterstützt, und meine Enttäuschung war von Tag zu Tag gewachsen. Als Verleger hatte er für mich Verantwortung gehabt. Von einem Verlag darf ich erwarten, dass er mich als Autor arbeiten lässt, dass er meine Arbeit unterstützt. Es muss ein Fehler im System stecken, wenn ich gezwungen bin, von morgens in der Frühe bis tief in die Nacht zu arbeiten, und vom Verlag kommt nichts. » Was kannst du mir außer dem Studio noch bieten?«, habe ich ihn gefragt. Alle anderen im Haus hatten irgendwelche Jobs, schnitten irgendwelche Spuren und bekamen dafür Geld, nur ich hockte in meinem Studio und wartete vergeblich auf Aufträge von dem Verlag, bei dem ich unterschrieben hatte. Vielleicht hatte sein Vaterinstinkt nach meinen ersten Erfolgen nachgelassen. Vielleicht wusste Sven auch selbst nicht, wie er’s anstellen sollte. Sein Verlag war ja ein Schlagerverlag, der hatte gar keine Verbindungen zu Hip-Hop oder Dance. Er wird verstanden haben, dass ich bei Aggro besser aufgehoben war. Aber es waren traurige Wochen. Das Hansa war über viele Jahre hinweg
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