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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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aufmerksam zuhörten und dann, wenn sie die Patientenkartei bekommen hatten, ein arrogantes Lächeln aufsetzten.
    Um zehn Minuten vor acht lauschte Hila wieder der nachdenklichen Stimme von Doktor Groß auf dem Anrufbeantworter, der auf Hebräisch und Englisch Tage und Stunden der Sprechzeiten bekanntgab. Ihr war klar, daß sie sich sofort anziehen und zur Ambulanz fahren müßte, um ihren Körper vor der Geschwindigkeit des Prozesses zu schützen, der in diesem Moment schon dazu führen konnte, daß sich die Zellen vermehrten und zu einer Geschwulst wurden, die Metastasen streute.
    Sie konnte sich nicht entscheiden, was sie anziehen sollte, aus der Hoffnung heraus, daß trotzdem das Telefon in der leeren Wohnung läuten würde und Alex am anderen Ende wäre und sie sofort sehen wollte, weil sein Leben ohne sie nicht lebenswert war, und wenn nicht er, so jemand anderer, der etwas von ihr wollte, denn wenn ihr heute etwas Unerwartetes passierte, würde alles anders ablaufen. Deshalb stellte sie erst einmal den Wasserkessel auf. Wenn man es genau bedachte, war es trotzdem gut, etwas zu trinken, vielleicht Kaffee, denn die Trockenheit bei der Hitze, die dieses Jahr sehr früh eingesetzt hatte, konnte zu Zahnfleischbluten führen, und auch wenn sie kein Blut gesehen hatte, so war doch irgend etwas Ungesundes an dem deutlichen Gefühl, daß mit ihrem Zahnfleisch etwas passierte, was sie nicht wußte; der Prozeß war nicht zu leugnen.
    Wegen des Chamsin wäre es besser, in der schwarzen Kiste nach einem Sommerkleid zu suchen, einem, das den Bauch kaschierte, den sie im Lauf des letzten Winters bekommen hatte. Rubi hatte zwar gesagt, der Bauch störe ihn nicht, aber genau das war der springende Punkt, er hätte ihn stören müssen. Wer so dick ist, muß wenigstens wissen, daß sein Körper frei ist von Geschwülsten, sagte sie fast laut, als sie den Deckel der schwarzen Kiste hob, in die sie, als es Winter wurde, die Sommersachen gepackt hatte, weil sie sich damals nicht vorstellen konnte, daß der Winter je vergehen und ein neuer Sommer kommen würde, und der Platz, den die überflüssigen Kleider beanspruchten, sie störte. Deshalb hatte Rubi die Sachen auf ihre Bitte zur Wohnung ihres Vaters gebracht und unordentlich in die Kiste gestopft. Sie zog ein Sommerhemd von Rubi und ein kleines Kleid von Nufar heraus. Daß Gewichtsverlust eines der ersten Anzeichen war, wußte sie, das war bekannt, aber es gab schließlich auch andere Fälle – manchen Frauen wuchs zum Beispiel eine Geschwulst im Bauch.
    Aus einer Ecke der Kiste zog sie einen grünen Baumwollstoff hervor, es war das grüne Kleid aus indischem Stoff, hervorragend geeignet für einen Tag wie diesen, weil es zum einen etwas Leichtes und Flattriges an sich hatte, zum anderen der Farbton ihre Blässe betonte. Sie wußte, daß sie gut daran tat, ihre Blässe zu betonen, denn Ärzte mußten auf verschiedene Arten überzeugt werden, allein von Worten ließen sie sich nicht beeindrucken, man mußte auch entsprechend aussehen. Sie sollte sich auch genau überlegen, ob sie schön sein wollte, das heißt, ob sie den Gürtel mit der großen Kupferschnalle anzog – sie sollte diesen Gürtel nachmachen, mit einer ähnlichen Schnalle, der würde bestimmt reißenden Absatz finden – und die Wangenknochen mit dem rosabräunlichen Puder betonte oder ob sie lieber auf alles verzichtete und nicht einmal ihre roten Locken zusammenband, sondern wild herunterhängen ließ. Wenn sie zum Beispiel in einfachen Holzsandalen ging, konnte das mitleiderregend und irgendwie dringender wirken. Aber, erinnerte sie sich selbst, als sie den braunen Gürtel mit der Kupferschnalle umband, man mußte auch aufpassen, daß man nicht zu verrückt aussah, denn dann weigerten sie sich, einen gründlich zu untersuchen. Hoffentlich hatte ein anderer Arzt Dienst als der von der Nacht von Schabbat auf Sonntag, und wenn es schon derselbe war, so hatte er sie hoffentlich vergessen, denn wenn er sich an sie erinnerte, würde er sich weigern, sie auch nur anzuschauen. »Meine Dame«, hatte dieser junge Arzt mit den hellen triefenden Augen in der Nacht zum Sonntag gesagt, während Hila die braunroten Flecken auf seinen Sportschuhen betrachtet hatte, braunrot wie Blutflecken, was sie vielleicht auch waren, »Sie sind gesund wie ein Stier. Sie haben nichts.« Und nach einem Blick in ihre Patientenkartei hatte er hinzugefügt: »Vielleicht sollten Sie sich eine Beschäftigung suchen, dann würden Sie nicht auf

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