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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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solche Gedanken kommen.«
    Die Frage war, wie man Ärzte von der Dringlichkeit einer Angelegenheit überzeugen konnte. Vermutlich konnte eine gut zurechtgemachte Frau in solchen Situationen kein Mitleid erregen, andererseits aber vielleicht doch, wenn sie besonders schön aussah. Es war ja bekannt, daß alte Frauen manchmal einen ganzen Tag in der Ambulanz herumlagen, ohne daß sich jemand um sie kümmerte. Zum Beispiel dieses Ehepaar, das sie neulich nachts gesehen hatte. Der Alte lag da wie eine Mumie, und seine Frau saß neben ihm. Niemand kümmerte sich um sie. Hila hatte sie lange beobachtet und gehört, wie der Alte dauernd fragte, wieviel Uhr es sei. Anfangs hatte die Frau noch geduldig geantwortet. Sie hatte jedesmal den Kopf gesenkt und auf die Uhr geschaut, die sie auf der Brust hängen hatte, und ihm die genaue Zeit gesagt. Doch mit jeder Frage bemühte sie sich weniger, dann schaute sie ihn nicht einmal mehr an, wenn sie ihm antwortete, und am Schluß sagte sie wütend: »Wozu mußt du wissen, wieviel Uhr es ist?« Kein einziges Mal hatte sie nach seiner Hand gegriffen. Hila hatte in der wiederholten Frage des Mannes seinen Wunsch herausgehört, das Alleinsein zu überwinden, endlich behandelt zu werden, damit der Schmerz in seinem Körper aufhörte, sie hatte sogar seine Sehnsucht herausgehört, wieder jung zu sein, oder daß ihm jemand die Hand auf die Stirn legte, auf seine Wange, seinen Arm. Die Frau, die sich an dem eisernen Bettgestell festklammerte, gab ihm aber nur die Auskunft, wieviel Uhr es war.
    Im Spiegel an der mittleren Tür des Kleiderschranks im Schlafzimmer ihrer Eltern – eines alten Schranks mit drei gewölbten, an den Ecken abgerundeten Türen – sah sie, daß das grüne Kleid, trotz des braunen Gürtels, unbedingt gebügelt werden mußte. Genaugenommen mußte jedes Kleid, das sie aus der schwarzen Kiste zog, gebügelt werden. Als sie das Bügelbrett ins Wohnzimmer schleppte und sich mit der in zwei, drei Stücke zerfallenen Steckdose abmühte, einen Schraubenzieher fand sie nicht, überlegte sie, ob sie vielleicht Jo’ela um ihre Meinung bitten sollte, wagte es dann aber nicht, denn vorgestern hatte sie sie dreimal bei der Arbeit angerufen, und beim dritten Mal war Jo’ela ungeduldig geworden und hatte gesagt, sie solle doch mal rausgehen und was unternehmen, im selben Ton wie der Arzt von der Ambulanz, als wäre sie außerhalb des Hauses von ihrem Körper befreit, überhaupt eine freie Person, als würde sie, wenn sie sich nur beschäftigte, aufhören, über die Prozesse nachzudenken, die in ihrem Körper stattfanden. »Wenn im Inneren eine leere Stelle ist, kann etwas anderes sie einnehmen«, hatte Rubi vor ein paar Tagen gesagt, als sie bei ihm anrief und ihn bat, sie zur Ambulanz zu fahren. »Wenn du nach Hause zurückkommst, können wir darüber reden. Inzwischen kannst du tun, was du willst, aber allein.« Die vorigen Male, als sie von zu Hause weggegangen war – nie für so lange Zeit –, war er immer gekommen und hatte alles getan, worum sie ihn bat. Doch man mußte seine Weigerung nicht so ernst nehmen. Es war eher, als hätte jemand ihm gesagt, wie er sie behandeln sollte, wie ein kleines Mädchen. Sie brauchte sich vor seinem Urteil nicht zu fürchten, schließlich war ihr die Sache ernst, und es reichte, wenn sie das selbst wußte. Sie mußte es als Prüfung ihrer Fähigkeit betrachten, eine einmal getroffene Entscheidung auch durchzuhalten. Bei ihrem letzten Gespräch hatte Jo’ela verlangt, ihr eine ganze Reihe von Dingen zu versprechen, unter anderem, daß sie diese Woche nicht mehr zur Ambulanz fuhr. Wenn sie Jo’ela jetzt anrief und um Rat fragte, ob sie das grüne Kleid anziehen sollte oder nicht, würde sie sie an ihr Versprechen erinnern und sie dazu zwingen, zu Hause zu bleiben und zu warten, bis Doktor Groß in der Praxis war – und was noch schlimmer war, woran sich Jo’ela aber nicht erinnerte oder was sie nicht verstand oder überhaupt nicht wußte: zu warten, bis ein Anruf von Alex kam oder nicht kam, ein Anruf, auf den sie gern verzichten würde, freiwillig und aus eigener Initiative, wenn sie dafür die Sicherheit bekäme, sei es auch nur für einen Tag, daß sie gesund war. Aber Alex rief ohnehin nicht an, und wenn, so nur, um zu sagen, er habe es eilig und werde sich im Lauf des Tages noch einmal melden. Er würde sich höchstens darüber freuen, daß sie zu Hause war und sich nicht an allen möglichen Orten herumtrieb, wo man sie nicht

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