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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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eine dritte und beobachtete, wie sie sich zischend auflösten. Dann kippte sie etwas Milch aus der Glaskanne hinzu, in die immer, weil Jo’ela hartnäckig darauf bestand, die Milch aus den Plastiktüten umgefüllt wurde, probierte das Getränk und goß noch etwas Milch nach. An die Spüle gelehnt, trank sie die Hälfte des Kaffees, den Rest schüttete sie in das Sieb über dem Ausguß, um das Porzellanbecken, das Schula so glänzend geputzt hatte, nicht zu verschmutzen. Dann zog sie die Sandalen aus und stieg barfuß die Treppe hinauf zum ersten Stock.
     
    »Was ist mit deinem Arm passiert?« fragte Jo’ela mit heiserer Stimme, und Hila atmete erleichtert auf, bevor ihr einfiel, daß ihr erster Gedanke, es sei alles wie immer, etwas Armseliges an sich hatte. Das zerwühlte Laken und die Bücher, die vor dem Bett lagen, die Unordnung im Schminkfach, die Cremetube, die auf- und nicht wieder zugeschraubt worden war, die Päckchen Papiertaschentücher, die auf dem Bett und dem Nachttisch herumlagen, der halb heruntergelassene Rolladen, der das Zimmer in Dämmerlicht hüllte – das alles waren, wenn es sich um Jo’ela handelte, Zeichen für eine gewisse Zerstreutheit oder das, was Hila so nannte, aber trotz des anscheinend zornig weggeworfenen zusammengeknüllten Papiers, das jetzt von Hila neugierig aufgefaltet und betrachtet wurde, offenbar eine Besorgungsliste, auf der einiges bereits mit schwarzer Tinte ausgestrichen war (Mantel in die Reinigung bringen, neue Kleiderbügel besorgen, im Labor anrufen, Testergebnis prüfen), gab es etwas, das wie immer war: Wie immer war sie, Hila, das Thema, der Grund zur Sorge.
    »Nichts, ich habe im Autobus einen Schlag abgekriegt.«
    »Im Autobus?« fragte Jo’ela und schloß die Augen. »Hast du kein Taxi genommen? Woher wußtest du eigentlich, daß ich zu Hause bin?«
    »Deine Mutter hat mich heute morgen angerufen«, erklärte Hila. »Sie macht sich Sorgen. Außerdem habe ich mir überlegt, daß du vielleicht etwas brauchst, und ans Telefon ist niemand gegangen. Deshalb habe ich beschlossen … ich wollte … He, muß ich mich entschuldigen oder was? Störe ich dich? Willst du, daß ich wieder gehe?«
    Jo’ela hob kraftlos die Hand und legte sie auf die Stirn. »Warum läufst du denn die ganze Zeit rum? Setz dich doch endlich. Und was ist mit deinem Knie passiert?«
    Hila setzte sich auf den Bettrand, sehr nahe zu Jo’ela, streckte das Bein vor und erschrak. »Ich kann es nicht geradebiegen.« Besorgt blickte sie Jo’ela an.
    Deren Augen mit den hellen Wimpern waren gerötet, als hätte sie wirklich geweint, und rund um die Lider waren kleine rosafarbene Schwellungen. Sie machten Hila Angst, ebenso die monotone Stimme, mit der Jo’ela sagte: »Im Badezimmer gibt es Verbandszeug, mach dir kalte Kompressen drauf, es wird vorbeigehen.«
    »Das ist nicht so wichtig«, meinte Hila, hoffte aber insgeheim, Jo’ela würde darauf bestehen und sie drängen. Doch diese schloß wieder die Augen. Sie schien das Knie bereits vergessen zu haben, möglicherweise war sie auch der Ansicht, daß die Sache nicht so wichtig war, doch das Knie tat sehr weh. »Hast du Fieber?« fragte Hila.
    »Es kommt und geht. Gestern hatte ich neununddreißig, heute ist es unter sechsunddreißig.«
    »Hast du Paracetamol genommen?«
    »Nein.«
    »Du hast nichts genommen?« erkundigte sich Hila erstaunt. »Zu mir sagst du immer, daß ich …«
    »Es hilft nichts«, unterbrach Jo’ela sie und verschränkte die Arme auf dem Laken, mit dem sie sich zugedeckt hatte.
    »Was heißt das, es hilft nichts? Wenn du Grippe hast, dann …«
    »Es scheint eher so was wie Malaria zu sein, mein ganzer Körper … Ach, nicht wichtig, lassen wir das.« Wieder waren ihre Augen geschlossen.
    Hila horchte auf ihr eigenes Herzklopfen und konzentrierte sich auf den Schmerz in ihrem Knie.
    Jo’ela drehte den Kopf und riß ihre hellen blaugrünen Augen weit auf, ihr Blick wirkte wegen ihrer Kurzsichtigkeit irgendwie erstaunt und verloren.
    »Wo hast du deine Brille?« fragte Hila.
    »Dort«, antwortete Jo’ela und deutete auf den anderen Bettrand. Und als Hila sich hinüberbeugte, die Brille nahm und sie ihr hinhielt, fügte sie hinzu: »Ich brauche sie jetzt nicht.« Der erstaunte, kurzsichtige Blick verschwamm, als sich Jo’elas Augen plötzlich mit Tränen füllten, die aus den schrägen Augenwinkeln über die blassen Wangen flössen. Jetzt sah ihr Gesicht zusammengeschrumpft aus, als habe man die Luft herausgelassen, die

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