So habe ich es mir nicht vorgestellt
…«
»Hat sie Fieber?« fragte Hila schnell, damit Schula nicht genau beschreiben konnte, was sie hinter der Tür gehört hatte. Natürlich hätte sie es gerne gewußt, hätte es nicht eine Art Komplott mit Schula bedeutet. Hila hatte das Gefühl, es wäre nicht anständig von ihr, sich das anzuhören. Wenigstens in Jo’elas Augen, wenn sie es wüßte, und sie würde es wohl erfahren.
»Also was? Soll ich etwa die Ärztin von der Ärztin sein?« beschwerte sich Schula. »Es hat sich so angehört, aber als ich gefragt habe, hat sie mir keine Antwort gegeben, sie läßt mich ja noch nicht mal dort saubermachen. Das ist das schlimmste. Wenn Sie das Zimmer sehen, denken Sie daran, daß es nicht an mir liegt.«
»Was hat sie wirklich, was meinen Sie?«
»Grippe«, entschied Schula. Und in der Art, wie sie das Wort betonte, drückten sich alle Zweifel der Welt aus. Als habe sie insgeheim beschlossen, kein anderes Wort zu sagen als dieses. Als wäre klar, daß das Wort eine Tarnung war. Als wüßten sie beide, daß es um etwas anderes ging, man es aber Jo’ela zuliebe so nennen müsse. Hila fühlte sich unbehaglich in den kurzen Momenten des Schweigens, in denen eine die andere prüfend musterte, als versuchten sie herauszubekommen, wie ehrlich und aufrichtig man in dieser Situation sein sollte.
»Hat Arnon angerufen?«
»Gestern. Heute nicht.«
»Heute war das Telefon ja ausgesteckt«, erinnerte sie Hila.
»Soll ich es jetzt wieder anschließen?« fragte Schula zögernd.
Hila zuckte mit den Schultern. »Lassen Sie es«, sagte sie und hinkte zur Küche hinüber.
»Was haben Sie?« fragte Schula erschrocken. »Warum können Sie nicht richtig gehen?«
»Ich bin unterwegs gestürzt«, sagte Hila, weil sie keine Lust zu langen Erklärungen hatte. Und dann, nachdem sie sich über das Spülbecken gebeugt und Wasser aus dem Hahn getrunken hatte, verkündete sie: »Ich gehe jetzt hinauf.« Sie wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.
»Das ist nicht gut, sie ist gerade eingeschlafen, vor ein paar Minuten war ich oben.«
Hila blickte zu dem großen Radio hinüber, aus dem das Lied drang: »Was für ein Junge bist du, Elifelet.« Die im Radio kommen schon ganz durcheinander mit den Gedenktagen, dachte sie.
»Den ganzen Tag gibt es schon solche Lieder, ich mag sie ja, aber sie bringen mich zum Weinen«, erklärte Schula und machte das Radio aus. »Setzen Sie sich doch, trinken Sie eine Tasse Kaffee, essen Sie was. Vielleicht wacht sie inzwischen auf. Ich muß zum Arzt rennen, Moran hat eine Blasenentzündung, ich habe heute mor-gen ihren Urin hingebracht. Fragen Sie nicht, was das für ein Theater war, den Urin einigermaßen steril aufzufangen. Haben Sie mal diese Becher mit dem Aufkleber gesehen? Und wie sich das Kind angestellt hat.«
»Gehen Sie ruhig«, sagte Hila müde. »Ich bleibe nur noch ein bißchen hier sitzen, dann gehe ich rauf. Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Es gibt Gemüsesuppe, die sie sehr gern ißt, und ich habe Frikadellen gemacht, aber die Kinder kommen spät, Ja’ara ist Gott weiß wo, und Ja’ir hat Judo, erst dann …«
Mit halbem Ohr hörte Hila auf das Gemurmel, die Anweisungen, die schnellen Schritte, dann winkte sie Schula noch zu, die in der Tür stand, groß, gut geformt, in lila Schuhen mit hohen Absätzen, den kurzen Pelzmantel über dem Arm, in einer fast durchsichtigen geblümten Bluse und einem Gürtel in den engen Jeans, die sich über ihren Hüften spannten. Sie nickte, als Schula sagte: »Hoffentlich springt mein Auto an, was für Probleme es mir heute morgen gemacht hat«, und atmete erleichtert auf, nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte.
Auf dem Knie war jetzt ein roter Fleck zu sehen, Hila betastete ihn vorsichtig. Sie erinnerte sich an einen heftigen Schlag, und ein Schlag, der einen solchen Fleck verursacht, könnte wirklich die verschiedensten Folgen haben. Sie blickte durch das Fenster hinaus auf die Zypresse, die aus einem kleinen Steckling gewachsen war und jetzt schon den ersten Stock erreichte, und sah wieder die Kinder vor sich, die vier Mädchen – Ja’ir war damals noch nicht geboren –, wie sie abwechselnd gruben, und Nufar und Ja’ara miteinander Streit bekamen, wer an der Reihe war, die Gießkanne zu halten. Hila stellte eine Tasse neben den elektrischen Wassertopf, goß kochendes Wasser über das Kaffeepulver, sah zu, wie die Körnchen schmolzen, warf eine Süßstofftablette hinein, dann noch eine, schließlich, nach kurzem Zögern,
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