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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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nicht für immer so liegen bleiben, sogar wenn du krank bist, mußt du aufstehen, das machst du doch auch mit den Frauen nach der Entbindung, sie müssen aufstehen, auch wenn sie glauben, daß sie es nicht können. Und weil du sowieso irgendwann aufstehen mußt, kannst du es doch auch gleich tun. Jedenfalls hast du es mir so beigebracht. Wir essen und trinken ein bißchen, und dann sieht alles anders aus.«
    »Ich will es aber nicht anders«, flüsterte Jo’ela.
    Hila senkte verständnisvoll den Kopf und lauschte auf die geheimen Stimmen in ihrem Inneren. Neben der Angst bei dem Gedanken an eine andere Jo’ela, neben dem Fast-Beleidigtsein wegen der Rollenumkehrung, neben der Ungeduld, die Jo’elas Verhalten, das nicht frei von Erpressung war, in ihr auslöste, neben dem Erstaunen und dem Wunsch zu sagen: »Wieso geht es dir denn so schlecht, du bist eben auch mal krank«, spürte sie jetzt doch einen leisen Triumph, und das mobilisierte in ihr das Wissen, was sie zu tun hatte, sie wußte, wie sie selbst in solchen Momenten, ehrlich gesagt, einen Außenstehenden brauchte, der sie mit Gewalt aus sich selbst herausholte, wenn sie nicht aufstehen wollte, nicht auf ihren Beinen stehen, nicht essen – auch wenn man in solchen Momenten das, was man sagt, sehr ernst meint, besonders jemand wie Jo’ela, die nichts Theatralisches oder Manieriertes an sich hatte. Man mußte mit Jo’ela umgehen wie mit einem Kind. Mit einer Mischung aus Genugtuung und vagem Widerspruch sagte sie nun: »Ja, ich weiß, daß du nicht willst. Deshalb ist es ja nötig. Jetzt steh auf, zieh dich an und putz dir die Zähne. Dann gehen wir hinunter in die Küche und essen die Gemüsesuppe, die Schula gekocht hat.«
     
    Das junge Mädchen hob sich Jo’ela für den Schluß auf. Vorher sprach sie von der Geburt und dem toten Kind der jungen Frau, die ganz alleine in die Klinik gekommen war. Sie betrachtete den Löffel, den sie gehorsam in der Hand hielt, über dem Teller mit Gemüsesuppe, den Hila ihr feierlich hingestellt hatte, und hörte, wie die Worte monoton aus ihrem Mund kamen, eines nach dem anderen, und sich zu der Beschreibung der Minuten zusammensetzten, in denen sie versucht hatte, das Kind zu retten, von dem Erschrecken im Aufzug und der Entscheidung, trotzdem zu operieren.
    »Oh, wie schlimm, ich wäre verrückt geworden«, murmelte Hila und stand auf, um sich noch eine Portion Suppe zu nehmen. Und es war gar nicht klar, wem ihr Mitleid eigentlich galt. »Das ist eine schlimme Geschichte.« Und dann fragte sie, ob es wegen des Cholesterins keine Butter gab oder nur zufällig.
    »Schau mal ins untere Türfach«, sagte Jo’ela. »Da muß noch welche sein.« Sie schlug die Arme um den Körper, weil ein Schauer sie überlief.
    »Mit all dem Ultraschall und so könnte man eigentlich glauben, daß es solche Sachen nicht mehr gibt, aber es gibt sie«, verkündete Hila und fügte erstaunt hinzu: »Es wird sie immer geben.« Sie strich eine dicke Schicht Butter auf eine Brotscheibe.
    Obwohl Jo’ela nicht zum ersten Mal erlebte, wie ihre Freundin auf große Probleme mit einer wahren Freßorgie reagierte, und obwohl sie diesen Heißhunger als ein Zeichen ansah, daß die Sache Hila berührte, ja sogar erschütterte, zuckte sie zurück, als sie die fettige Hand sah, geschmückt mit einem großen Silberring, die nun mit entschlossenen, rhythmischen Bewegungen Salz auf das Brot streute, sorgfältig und konzentriert, und vor den vollen Lippen, die sich über dem Brot schlossen.
    »Nur einen Moment«, sagte Hila und sprang auf.
    »Wo gehst du hin?« wollte Jo’ela wissen, aus Angst, wieder zu schweigen, wenn sie nur einen Moment allein gelassen wurde, daß sie nicht mehr reden konnte und ein Kloß aus Wörtern ihr im Hals steckenblieb, unzusammenhängend, ohne innere Logik, wenn dieser Strom, der aus ihr herausbrechen wollte, unterbrochen wurde. Doch Hila, die ausgesehen hatte, als höre sie nur zerstreut zu, als achte sie in Wirklichkeit eher auf das Ticken der großen Uhr, der sie manchmal einen Blick zuwarf, als erwarte sie etwas Bedeutendes und Wichtiges, kam zurückgerannt und hängte Jo’ela den blauen wollenen Morgenrock um die Schulter, den sie aus dem Badezimmer geholt hatte, wobei sie murmelte, die objektive Temperatur spiele keine Rolle, man müsse auf den Körper hören.
    Jo’ela konnte trotzdem weitersprechen, eigentlich konnte sie nicht aufhören, sie konnte gar nicht so schnell sprechen, wie sie alles loswerden wollte, aber auch,

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