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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Augen und bedeckte schließlich das Gesicht mit den Handflächen. Dann bewegte sie den Kopf hin und her und zog die Schultern hoch, als versuche sie, ihren Kopf an der Brust oder zwischen ihren Armen zu verstecken, wie ein Vogel. Leise, jammernde Töne drangen zwischen ihren Armen hervor, und dann brach sie in lautes, bitteres Weinen aus, beide Hände vor dem Gesicht – eine hilflose, kindliche Gebärde –, bevor sie suchend, wie blind, auf dem Bett herumtastete, ohne mit dem lauten Weinen aufzuhören. Wie gebannt verfolgte Hila die suchenden Bewegungen. Und immer wieder wischte sich Jo’ela über die Augen, über die Nase, hörte aber nicht auf zu weinen. Nun erst wagte Hila sich zu bewegen, sie nahm ein Päckchen Taschentücher von der Kommode und drückte es der Freundin in die Hand. Jo’ela trocknete sich die Tränen ab und putzte geräuschvoll die Nase. Eine Strähne klebte ihr an der Wange, und ein einzelnes, langes Haar hing an ihrer Lippe. Hila, noch immer wie gelähmt vor Schrecken, wagte nicht, ihre Freundin zu berühren. Erst als das Schluchzen aufhörte, brachte sie ein paar Worte heraus. »Genug, Jo’ela, genug«, sagte sie und legte ihre Hand auf den Arm, der zitternd und schwitzend auf der Decke lag, die Hände fest in die Decke gekrallt.
    »Sag mir, was passiert ist«, bat Hila. »Das ist doch nicht nur der Körper, der macht so etwas nie ohne Grund, er will etwas damit sagen.«
    »Nichts, nichts, nichts«, sagte Jo’ela und fing wieder an, den Kopf ruckartig hin und her zu bewegen, aber das Weinen hatte aufgehört.
    »Vielleicht gibst du mir einen Hinweis, das Ende eines Fadens, irgend etwas?«
    »Ich habe nichts, einfach nichts. Es ist nichts passiert, nur plötzlich ist alles … Schade um die Worte. Es gibt nichts zu sagen.«
    »Schade ist es nur um die Toten«, sagte Hila automatisch, aber Jo’ela lachte nicht. »Sprich doch mit mir, ich rede doch auch immer mit dir. Auch wenn ich gewußt habe, daß du mir nicht helfen kannst, habe ich dir immer alles gesagt.«
    Jo’ela setzte die Brille auf, drückte die Bügel hinter die Ohren und zwinkerte, bevor sie mit monotoner Stimme sagte: »Es lohnt sich alles nicht. Ich habe das Gefühl, daß sich alles nicht lohnt. Es hat keinen Sinn. Ich habe keine Kraft mehr. Was ich dir immer über das Leben und den Alltag gesagt habe, über Handlungen, die einen Wert haben – vergiß es. Alles nur Geschwätz.«
    Vielleicht müßte ich jetzt einen gewissen Triumph empfinden, überlegte Hila bestürzt, andererseits bewies allein die Tatsache, daß Jo’ela diese Worte aussprach, ihre Richtigkeit, machte sie real und existent. Einerseits lag wirklich etwas Tröstliches in diesen Worten, die sie unkontrolliert, ohne nachzudenken, gesagt hatte, etwas Bohrendes, anderes, Neues, Unerwartetes, aber andererseits – es gibt eine andere Seite, dachte Hila bestürzt, es muß doch etwas geben, was daraus entsteht. »Ohne die Erkenntnis, daß die Dinge an sich von vornherein und grundsätzlich bedeutungslos sind, lohnt es sich wirklich nicht«, sagte sie schließlich nachdenklich, breitete ihr Kleid über die angezogenen Knie und legte die Arme um die Beine. Für einen Moment sah sie Alex’Gesicht, das sich über sie beugte, und sie wurde von der Angst gepackt, daß er nicht mehr anrief, nie mehr, doch dann sah sie sich selbst, ganz in Weiß, wie eine Krankenschwester, Jo’elas Hand haltend, und ihr Herz wurde weit.
    Im Zimmer war nur das Ticken der Uhr zu hören, dann ein Knurren aus Jo’elas Magen, was Hila daran erinnerte, daß sie außer einer halben Tasse Kaffee nichts gegessen und getrunken hatte. Sie betrachtete Jo’ela und dachte daran, wie sie sich selbst in solchen Momenten fühlte, sie meinte dann zwar ernst, was sie gesagt hatte, wünschte zugleich aber, jemand, egal wer, würde es schaffen, sie aus sich selbst herauszuholen und wieder auf die Füße zu stellen. Als wäre sie ein kleines, hilfloses Kind. »Ich habe heute morgen nichts getrunken«, sagte sie schließlich.
    »Geh du ruhig runter, ich bleibe im Bett«, sagte Jo’ela, legte sich auf die Seite und zog die Beine an den Bauch, wie jemand, der endgültig aufgegeben hat.
    Trotz ihrer Panik – nie hatte sie Jo’ela so weinen sehen, nie so zusammengekrümmt, zerschlagen – mußte Hila lachen. »Für immer?« fragte sie. »Du stehst nie mehr auf?«
    »Hör auf«, bat Jo’ela.
    »Ich kann dir etwas ans Bett bringen, aber ich sage dir aus Erfahrung: Am Schluß mußt du doch aufstehen, du kannst

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