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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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für sich zu behalten, in seiner uranfänglichen Form, und auf ihr Bedürfnis nach Erklärungen und Wissen zu verzichten, denn der Fall, so schrecklich er auch sein mochte, hatte auch etwas von der verborgenen Süße, die vielem von dem anhaftete, was sie früher getan hatte oder gern getan hätte und nicht gewagt hatte, unter anderem, weil ihr die Dinge unerklärlich und zwecklos vorgekommen waren, und noch mehr, weil schon die Tatsache, sie zu tun, bedeutet hätte, sich mit allen Gefühlen und Lastern bloßzustellen. Wenn man Dinge formuliert und offen ausspricht, verzichtet man irgendwie auch auf die Gefühle, die dazugehören, oder wenigstens auf ihre Heftigkeit. Lautes Aussprechen verkleinert ihre Ausmaße auf eine realistischere Dimension. Doch wegen der Scham war es zum Beispiel unmöglich, den Drang, das junge Mädchen noch einmal zu berühren und nachzuprüfen, was in ihrem Körper los war, in Worte zu fassen, jedenfalls nicht die Stärke des Drangs. Die Scham war es, die von ihr verlangte, sich zurückzuhalten, auf offenes Pathos zu verzichten, es auf dem Weg von innen nach außen auszumerzen. Sie wußte schließlich selbst, wie sonderbar und sinnlos ihr Gang nach Me’a Sche’arim gewesen war, und mußte schon beim Erzählen der Vorgeschichte diese Erkenntnis, diese beschämende Selbstverurteilung einflechten, um nicht von lähmender Verwirrung erfaßt zu werden. In der kritischen Darlegung ihres Drangs, verbunden mit vielen Erklärungen, die sie ihren Bedürfnissen überstülpte, übte sie Verrat an sich selbst und verkleinerte die Sache, um sich verständlich zu machen. Hila sollte es verstehen – und vielleicht mehr noch sie selbst. Daß Hila es verstehen würde – vielleicht sogar besser als sie selbst –, daran zweifelte sie nicht, und gerade diese Sicherheit war es, die sie zurückschrecken ließ: Hila sollte es im richtigen Ausmaß verstehen, sie sollte es vor sich sehen können, sie sollte genau sehen, was mit ihr los war, dann würde sie schon verstehen, was für eine Dummheit dahintersteckte, und sie selbst würde auf die Scham verzichten können. Aber wer Hila sah, die kindische Dummheit, mit der sie hartnäckig darauf bestand, sich die Haare knallrot zu färben, die schwarzen Balken, die sie sich um die Augen malte und die ihre Lider verlängerten, so wie Schula es ihr beigebracht hatte, wer sie in diesem ausgeschnittenen Kleid sah, diesen grünlichen Blick von der Seite, der, wenn sie sich konzentrierte, olivgrün wurde, wer ihren aschkenasischen Tonfall hörte, ihr übertriebenes Hebräisch, ihr pseudokluges Gerede, würde sie für ein kindisches, angeberisches Geschöpf halten. Infantil nannte Arnon sie manchmal, ohne jede Mißbilligung, und staunte immer wieder, wenn sie tatsächlich etwas Gescheites sagte. Aber wenn Hila etwas verstanden hatte, brachte sie wirkliche Anteilnahme auf; dann war sie freilich bereits involviert, und es war unmöglich, sich wieder zurückzuziehen, so wie Jo’ela es in den letzten Tagen getan hatte, genauer gesagt: eigentlich schon seit langer Zeit.
    »Was für ein Wunder«, murmelte Hila nun, »daß so viele Babys, die geboren werden, normal sind, mit diesen zwei Gangsystemen, dem Müllerschen und dem Wolffschen, und daß die beiden Gänge entscheiden, wie sie sich entwickeln, und daß sie das schaffen.«
    Jo’ela seufzte.
    »Jedenfalls wird es Zeit, Gott sei Dank«, sagte Hila.
    »Was?«
    »Wer sich nicht entwickelt, geht zurück. Auf einer Stelle stehenbleiben, das geht nicht. Und sag jetzt ja nicht: Schaut mal an, wer das sagt , denn jeder hat seinen eigenen Rhythmus«, sagte Hila und rieb sich zart das Knie. In ihren Augen glitzerte Selbstzufriedenheit, als sie fortfuhr: »Es ist wirklich geschwollen.«
    Jo’ela beugte sich zu ihr und untersuchte das Knie. »Bis zu deiner Hochzeit ist es vorbei«, sagte sie, ohne die Spur eines Lächelns.
    »Das gibt es nicht, daß man nicht an sie rankommt, daß man sie nicht findet«, verkündete Hila.
    »Du hast leicht reden«, murmelte Jo’ela und schob den Teller Suppe von sich. Und jetzt erst erzählte sie von dem Besuch in Me’a Sche’arim und von dem Vater des Mädchens.
    »Das glaube ich nicht«, erklärte Hila. »Du bist mitten am Vormittag dort hingegangen? Zu ihnen nach Hause? Du hast zu ihm gesagt, daß sie keine Gebärmutter hat?«
    Jo’ela nickte zerstreut.
    »Na gut«, entschied Hila, aber ihr Mund verzog sich unsicher. »Wenn es das war, was du wolltest, war es wahrscheinlich nötig.« Und mit

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