So habe ich es mir nicht vorgestellt
einem kleinen Lächeln, das sich zeigte, noch bevor sie weitersprach, fügte sie hinzu: »Wer weiß, zu was allem du noch fähig bist.«
Diesen Satz kenne ich, wollte Jo’ela laut hinausschreien, den habe ich mehr als einmal gehört, als ich etwas aus aller Kraft wollte und es nicht verbarg. Und er war nie gut gemeint, sondern mißbilligend. Schon lange kenne ich ihn, schon sehr lange. Ich müßte ihr jetzt von Jo’el erzählen. Sie meint es gut, sie wird mir keine Vorwürfe machen. Aber ich habe keinen Mut. Die Wellen von Übelkeit kamen zurück, die Schauer, die Welt um sie wurde dunkel und hell, die Suppenteller bewegten sich, die Löffel und Gabeln verbogen sich, die Brotkrumen um Hilas Teller nahmen riesige Formen an. Hilas Augen verwischten sich zu grünen Flecken, ihr Mund war weit weg, ihre Haut ausgedörrt und kalt. »Mir ist schlecht«, flüsterte Jo’ela. Sie legte den Kopf auf die Arme, auf die Tischplatte, die nach altem Essen roch.
»Stütz dich auf mich«, sagte Hila. Ihre Stimme kam von weit, weit her, als sie sie zum Sofa im Wohnzimmer führte. »Stütz dich auf mich, hab keine Angst, ich halte dich.« Sie schob ihr ein dickes Kissen unter den Kopf, ein anderes unter die Füße. Hinter Jo’elas geschlossenen Lidern drehte sich alles, auch das Sofa bewegte sich, schwankte von einer Seite zur anderen, wie ein Gummiboot, sie hörte das Tappen nackter Füße, hörte, wie Hila eine Nummer wählte und dann ins Telefon sprach. Als schaltete immer wieder jemand mit einem Knopfdruck die Sprache ein und aus, drangen nur Bruchstücke von Sätzen an ihr Ohr. »Nicht heute … Vielleicht morgen … Ich war nicht … Jetzt geht es nicht …« Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie verstand, daß Hila jetzt nicht mehr mit Alex sprach, sondern mit einer Frau, zu der sie sagte: »Mach dir keine Sorgen, es ist nicht schlimm«, und das Radio in der Küche, von dort kam das Klirren von Geschirr, eine Gruppe sang, und Hila sang mit, und als sie ins Wohnzimmer zurückkam, stellte sie klirrend eine Tasse Tee auf den Sofatisch, mit einer sehr autoritären Bewegung, zufrieden und ohne jeden Unterton von Sorge befahl sie Jo’ela zu trinken, solange der Tee noch heiß sei, dann setzte sie sich in die andere Ecke des Sofas, zog die Knie an und legte die Arme darum. »Ich habe mir etwas überlegt«, sagte sie. »Alles wird gut, du wirst schon sehen. Wir nehmen uns frei, und du machst nur, was ich dir sage, und alles wird gut. Eine Woche gehen wir nicht zur Arbeit.«
»Das ist ausgeschlossen«, hörte Jo’ela sich selbst murmeln. »Es ist unmöglich, nicht zur Arbeit zu gehen, und außerdem gehe ich dort nie wieder hin.«
»Das geht vorbei, du wirst schon sehen.«
10. Die musikalische Erziehung
Auf dem blauen Samtbezug liegt eine goldene Trompete. Die schwarze Hülle ist ausgebreitet wie die harten Flügel eines großen, wunderbaren Vogels. In einer kleinen Vertiefung, ebenfalls mit blauem Samt bezogen, ruht das Mundstück. Ohne das wird es keinen Ton geben. Mit festen, sicheren Händen nimmt ihr Vater das Instrument und befestigt das Mundstück, um ihm Leben einzublasen. Aus der Küche ist nervöses, unpassendes Klirren von Tellern und Töpfen zu hören. Doch gleich wird es von den klaren, goldenen Tönen überstimmt werden. Sie werden alles zum Schweigen bringen, auch das Rattern des Autobusses auf der Hauptstraße vor dem Haus und sogar das fröhliche Gurgeln des Brüderchens, das zwischen einem Rattern und dem nächsten zu hören ist. Zusammengekauert in der Sofaecke, die Knie bis zur Nase hochgezogen, wartet das Mädchen schweigend. Ihr Rücken reibt sich an der Enzyklopädie. Sie rutscht ein Stück weiter, ihr Rücken lehnt jetzt an dem Nachschlagewerk Ewen-Schoschan , ihr Ellenbogen stößt an das rote Buch mit den eingeprägten goldenen Buchstaben auf dem Rücken. Dieses Buch wird immer aus dem Regal genommen und aufgeschlagen, wenn sie Fieber hat. Und die Hand, die jetzt dem goldenen Körper das Mundstück aufsteckt, gleitet dann über die Seiten und hält an der Stelle inne, wo beschrieben ist, welche Krankheit sie hat. Eine Ewigkeit dauert das immer.
Mit offenem Mund schaut das Brüderchen zu, es sitzt auf einem hohen Holzstuhl und schlägt mit dem Knochen eines Hühnerschenkels auf das Brett vor ihm. Der Knochen trifft den braunen Kopf des Bambis und seiner Eltern, die auf das Brett gemalt sind. Die Eltern werden sterben und Bambi allein lassen, das weiß das Mädchen schon. In dem großen Wald brannte es.
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