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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Jo’ela, »das ist doch nicht normal.« Sie rieb die schwarze Fläche in der Mitte des Lenkrads. Hila antwortete nicht. Ihr Blick war auf das Tor auf der anderen Straßenseite geheftet. Sie hielt einen Fotoapparat fest in der Hand. »Ich weiß nicht, wozu du das brauchst, wozu die ganze Sache überhaupt gut ist«, seufzte Jo’ela. Hila hatte sie gestern lange ausgefragt, als sie die dramatische und sinnlose Aktion, das junge Mädchen zu fotografieren, plante und dabei behauptete, man könne es durch langes, ungestörtes Betrachten des Fotos herausfinden. Und als Jo’ela gefragt hatte, was dieses »es« denn sein sollte, das man herausfinden könne, wurden Hilas Antworten sehr unbestimmt, leeres Gerede, dem nur zu entnehmen war, wie wenig sie selbst wußte, was sie eigentlich antrieb. Ihre Argumente klangen wie die von politischen Fanatikern, die mit ihren Vorschlägen in eine Sackgasse geraten sind: Fragt man sie nach den Folgen ihrer Forderungen, zerpflückt man ihre Empfehlungen und stellt sie der Realität gegenüber, fangen sie an, unzusammenhängendes Zeug zu reden, sinnlose Sätze, und ausgerechnet dann werden ihre Stimmen immer lauter. Sie versuchen, mit Verve und Begeisterung den Mangel an Logik zu überdecken.
    »Willst du das Mädchen oder nicht? Entscheide dich.«
    »Ich weiß schon gar nichts mehr«, sagte Jo’ela, ohne den Blick von dem Eisentor in der Mauer zu wenden. »Es kommt mir alles so dumm vor, auch dieser Fotoapparat.«
    »Du hast gesagt, daß sie untersucht und behandelt werden muß«, erinnerte sie Hila, hob den Fotoapparat und blickte durch den Sucher. Jo’ela beschloß, auf die Frage zu verzichten, was denn eine Untersuchung mit einem Foto zu tun habe. »Sag mir sofort Bescheid, wenn du sie siehst, laß das Tor nicht aus den Augen, sie sehen alle gleich aus. Ich übrigens auch.« Hila lachte, strich sich den blauen Glockenrock über den Knien glatt, rückte die nicht existierende Naht an ihren dunklen Strümpfen zurecht und schob eine rote Locke unter das Kopftuch. Ihr Gesicht, ohne Rouge, ohne die schwarzen Striche um die Augen und ohne den braunen Lippenstift, war rot und geschwollen, als habe sie zu lange geschlafen. Die Art, wie sie sich ständig mit der Zunge über das Zahnfleisch fuhr, machte Jo’ela nervös und weckte ihren Widerstand und bestärkte das Gefühl, daß sie sich lächerlich machten. Wie zwei pubertierende Mädchen, dachte sie, fehlt nur noch, daß wir hysterisch anfangen zu lachen, wie Ja’ara es beim Telefonieren oft tut. Auch ihre Scham war zurückgekommen. »Ich weiß nicht«, sagte sie zweifelnd, »ich habe Spiele schon immer gehaßt. Schon immer.«
    »Hast du denn keine Spiele gespielt, als du klein warst?«
    »Ich erinnere mich nicht«, murmelte Jo’ela. »Ich hatte eine Puppe, ich hatte auch viele Spiele, aber ich glaube, ich habe nur gern allein gespielt, vielleicht war mein Bruder auch zu klein und hat wirklich nichts verstanden. Andere hätten mir wohl mein Spiel verdorben, sie hätten mir allein durch ihre Existenz gezeigt, daß es nur ein Spiel ist. Ich weiß nicht …« Jo’ela zögerte verwundert. »Ich verstehe selbst kaum, was ich sage. Es macht mir angst.«
    »Das ist ja gerade das Problem. Laß dich doch mal auf etwas ein, was du nicht verstehst, und schau, was dabei herauskommt, nur einmal. Dann werden wir schon sehen. Denk daran, was du versprochen hast.«
    »Aber es hört dann nicht auf, mir angst zu machen«, widersprach Jo’ela. »Und es tut mir schon leid, daß ich das Bett verlassen habe. Wenn du mich nicht mit deinen Einfällen verrückt gemacht hättest, wäre ich unter der Decke geblieben, ist es mir da etwa schlecht gegangen?«
    »Es ist dir sehr schlecht gegangen, und außerdem hast du dich wegen deines Selbstmitleids schon nicht mehr ausstehen können. Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der von sich selbst so viel verlangt wie du, und zwar nicht im positiven Sinn. Wenn du mal etwas tust, ohne dabei absolute Selbstbeherrschung zu bewahren, fängst du sofort an, dich zu hassen, und um diesen Selbsthaß loszuwerden, brauchst du Fieber und eine Grippe, aber auch das hat dir nie gereicht, bei dir wird die Grippe zu Sinusitis und Ohrenentzündung, zu einer Krise des ganzen Systems. Und nur weil du meinst, daß du für deinen Körper nicht verantwortlich bist, weil du davon ausgehst, daß man seinen Körper nicht beherrschen kann. Nur unter solchen Bedingungen erlaubst du dir, dich selbst zu ertragen, vielleicht wegen der

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