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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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anderer Dinge, dem Schlagen einer Tür, dem Rest eines Geruchs, den Anzeichen des Lebens und seiner Geräusche, die den Schmutz dahinter zeigen.
    Sie mußte nach dem albernen Herumsitzen hier, wie im Wartezimmer eines Zahnarztes, diese Neigung einfach ersticken und alles glattstreichen, wie man am Strand den Sand über einem vorher gegrabenen Loch glattstreicht. Sie war nicht besser als die Frau, die ihr gegenübersaß. Diese Frau starrte neugierig zu Hila hinüber, die nun ihre große Leinentasche auf den Schoß stellte und darin herumwühlte. Erst schob sie nur die Hand hinein und suchte, ohne hinzuschauen, dann klappte sie die Tasche auf, und schließlich begann sie, den Inhalt auszupacken und rund um sich auszubreiten. Jo’ela wünschte, sie müsse Hila nicht so sehen, mit den Augen des Mannes, der in dem runden Korbsessel in der anderen Ecke saß, den Blick von der russischen Zeitung hob und mit unverhohlenem Interesse die zerrissenen Notizhefte betrachtete, die alten Lippenstifte, das Schminktäschchen, das schmutzige, zusammengefaltete, eingerissene Papier, und sich dann wieder seiner Zeitung widmete, als genüge ihm das, was er gesehen hatte. Doch die Frau beugte sich vor und schaute Hila, die sie überhaupt nicht bemerkte, neugierig und ohne Hemmungen zu. Jo’ela warf ihr einen tadelnden Blick zu, doch die andere ließ ihre Fischaugen, blau und leicht hervorquellend unter einem großen weißen Strohhut, zwischen der Leinentasche und dem leeren Stuhl neben Hila hin und her wandern, dem Stuhl, auf den Hila nun zerknitterte Busfahrscheine legte, ein Telefonverzeichnis, eine Schachtel Mentholzigaretten der Marke »Eve«, von denen sie längst zugegeben hatte, sie kaufe sie nur wegen der hübschen Verpackung, einen Plastikbehälter mit Paracetamol, ein zerdrücktes Päckchen Kopfwehtabletten und eine spröde Plastikhülle, in der noch eine Tablette Vaben war, die Jo’ela selbst ihr einmal gegeben hatte; ein paar Papierschnipsel und Tabakkrümel klebten daran.
    »Was suchst du?« fragte Jo’ela leise, um die Verwirrung zu verbergen, die diese Art der Zurschaustellung und Hilas völlige Ignoranz gegenüber den neugierigen Blicken anderer Leute bei ihr hervorrief – auch der sehr alte Mann, der sich neben der Frau mit dem Strohhut auf einen knorrigen Stock stützte und dessen gelbliches, zusammengeschrumpftes Gesicht ausgesehen hatte, als schlafe er, machte nun die Augen auf und schaute zu Hila hinüber. Hila gab keine Antwort, sie fuhr fort, weitere Dinge aus der großen Tasche zu räumen. Sie murmelte vor sich hin, während sie alle möglichen Papiere und Dokumente auf ihren Knien ausbreitete, bevor sie sie auf den Stuhl neben sich legte. Und was wäre, wenn man sie genau in diesem Moment auffordern würde einzutreten?
    »Du sprechen Russisch?« fragte die Frau mit dem Strohhut und zog langsam ihre weißen Stoffhandschuhe aus, ohne den Blick abzuwenden.
    Jo’ela schüttelte den Kopf.
    »Erstes Mal hier?« wollte die Frau wissen. Ihr Mund war knallrot geschminkt.
    »Ja«, antwortete Jo’ela widerwillig und beobachtete aus den Augenwinkeln Hila, die nun alle Sachen wieder in die Leinentasche stopfte, nicht ohne vorher befriedigt einen kleinen weißen Umschlag auf ihr Knie gelegt und festgestellt zu haben: »Da ist er ja.«
    »Das sein großer, großer Mann«, verkündete die Frau und legte die Hand, in der sie ihre Handschuhe hielt, aufs Knie.
    Es reichte nicht, daß sie hier war, daß sie sich einverstanden erklärt hatte, mitzugehen, sie mußte auch noch Gemeinsamkeiten und Bestätigungen ertragen. Jo’ela drehte sich um und betrachtete das Ölgemälde mit der Schneelandschaft und den blauen Bergen.
    »Ich gesehen in Rußland viel, viel, alles nicht wie große Mann«, beharrte die Frau, nahm nun auch den weißen Strohhut ab und strich mit der Hand das gelbe Band glatt, das um ihn geschlungen war. Ihr Doppelkinn zitterte über einer weißen Fliege mit roten Punkten.
    »Wirklich?« mischte sich Hila mit großen Augen ein.
    Aber die Frau blickte sie nicht an, als sie antwortete: »Sehr groß. Hilft mir viel, viel«, versicherte sie, und Jo’ela betrachtete die Baumreihe vor einem roten Sonnenuntergang auf einer großen, goldgerahmten Leinwand.
    Lange saßen sie so da, bis sich die Holztür öffnete und der Heiler mit einer leichten Verbeugung andeutete, es sei nun an der Zeit, die Grenze zwischen Wohnzimmer und Arbeitszimmer zu überschreiten. Jetzt erst wurde Jo’ela klar, daß sie einen alten Mann mit

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