So habe ich es mir nicht vorgestellt
früheren Aussehen erklärte, und besonders erschrocken hatte er reagiert, als sie ihm die beiden Optionen beschrieb: anschwellen oder verschrumpeln. Genaugenommen spiegele der Körper den großen Verzicht wider. Seine offensichtliche Verwandlung sei die kindische Weigerung aufzugeben, was sich vor allem in der Hingabe an billigen Ersatz wie Essen ausdrücke, denn während des Essens wenigstens sei der Mangel verdeckt. Und es sei unmöglich zu sagen, ob eine Option besser sei als die andere. Zwar hafte den Ausgedörrten etwas wie Asketentum an, aber das sei schließlich auch nur äußerlich.
Im ersten Moment hatte Rubi laut gelacht. Sein dicker Bauch hatte gezittert vor Lachen, seine dicken Hände klatschten auf die Tischplatte und brachten die Gläser zum Wackeln, als sie verkündete, sie wenigstens habe nicht vor, irgendwann einmal so zu sitzen, wie alte Frauen das zu tun pflegen, mit gespreizten Knien und übereinandergelegten Füßen. Noch eine Minute vor ihrem Tod würde sie, falls sie saß, die Beine anziehen, Knie an Knie. Sie tat, als verstehe sie nicht, was an ihren Worten so lächerlich war, und fühlte sich wirklich gekränkt, als er sie amüsiert anblickte und fragte, ob ihrer Meinung nach Frauen wirklich keine Erfüllung im Alter hätten. Was für eine Erfüllung? hatte sie gefragt. Was für eine Erfüllung konnte eine Frau haben, die nie mehr in ihrem Leben Objekt geschlechtlichen Begehrens sein würde? Und was ist mit Männern? fragte Rubi. Was ist mit ihnen, wenn sie aufhören, das Objekt geschlechtlichen Begehrens zu sein? Wo finden sie Erfüllung? Das ist nicht dasselbe, Männer hören nie auf, verkündete Hila im Ton der Überzeugung, obwohl auch sie wußte, daß es bei ihnen nicht viel anders war, und führte selbst die alten Kirschs als Beispiel an, die zusammengeschrumpft und ausgedörrt waren. Dann hatte Rubi gelacht und gesagt: »Hila, du bist wirklich ein harter Fall.«
Gut, daß Arnon nicht zu Hause war. Wenn er hereinkam, war sie immer sofort überflüssig. Drei sind nicht zwei und nicht vier. Wäre sie mit Rubi hier, hätten sie sich in zwei und zwei aufgeteilt, die Männer für sich und die Frauen für sich. Wenn sie mit Jo’ela allein war, sprachen sie anders. Waren sie zu dritt, lag etwas Gezwungenes über allem. Man mußte – Jo’ela zwischen beiden hin und her gerissen – gemeinsame Gesprächsthemen finden, einen sicheren Boden. Das wurde allerdings nie ausgesprochen. Jo’ela tat immer, als sei es ihr egal, ob Arnon zu Hause war oder nicht, aber wenn er dabei war, trommelten ihre Finger auf die Sofalehne, und ihr breites Gesicht bewegte sich schnell, mit hochgerecktem Kinn, von einer Seite zur anderen. Sie verteidigte die Freundin gegen Arnon, auch wenn er sie überhaupt nicht angriff, sie formulierte ihre Sätze weicher, glättete Ecken und Kanten, änderte den Unterton. Wenn sie zu dritt waren, teilte sich Jo’ela in zwei Personen. Die eine Hälfte, der Oberkörper, war dem Sessel zugewandt, in dem Arnon saß. Der untere Teil, die angezogenen Beine, waren zu Hila gerichtet, die Zehen an ihren nackten Füßen bewegten sich, statt daß sie etwas sagte. Die ganze Welt war in Paare aufgeteilt. Und die wollten allein sein. Draußen vor dem Fenster waren Schritte auf dem trockenen Rasen zu hören. Ja’ara breitete eine Decke aus und legte sich auf den Bauch. Hila ging zu ihr hinaus.
Gegen Abend, kurz bevor es dunkel wurde, waren sie in der Küche, Jo’ela kochte Kaffee, Ja’ir kam von Zeit zu Zeit aus dem Garten, die Hände dreckverschmiert, und Hila saß auf einem Stuhl und hatte die Beine auf einen zweiten Stuhl gelegt. Plötzlich fiel ihr das rhythmische Sprechen Ja’aras aus dem Wohnzimmer auf. Es dauerte einen Moment, bis sie verstand, daß Ja’ara wirklich deklamierte. »Hier liegen unsere Körper«, las sie mit ihrer klaren Stimme, jede Silbe sorgfältig artikulierend, und Hila hob erstaunt die Augenbrauen. »Sie hat heute abend eine Probe«, erklärte Jo’ela. »Zum Gedenktag, für die Feierlichkeiten.«
»Ich habe das seit Jahren nicht mehr gehört«, murmelte Hila und stand auf, um einen Blick ins Wohnzimmer zu werfen. Mit dem Rücken zu den schweren Gardinen, die vor das große Fenster zum Rasen gezogen waren, stand Ja’ara mit leicht gespreizten Beinen, in einer Hand eine Strähne ihrer hellen Haare, die sie um den Finger wickelte, in der anderen das Heft, aus dem sie die Zeile immer wieder laut vorlas. »Eine lange, lange Reihe«, deklamierte sie,
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