Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
nicht nur neugierig war, sondern auch gekränkt.
    »Mit einer ganzen Behandlungsreihe«, sagte die Frau, »unter besonderer Betonung des Fortpflanzungsapparats und der Geschlechtsorgane.« Sie wischte sich die Hände ab und richtete sich auf. »Es gab solche Fälle, mehr als einen«, versicherte sie ruhig.
    »Vielleicht war das Autosuggestion?« widersprach Jo’ela.
    Die Frau zuckte mit den Schultern und sagte zurückhaltend, fast widerwillig: »Es geht darum, daß durch den ganzen Körper Lymphflüssigkeit fließt, unterwegs Abbauprodukte und tote Zellen sammelt und zum Herzen bringt, und manchmal sammelt sich dieser Abfall an Stellen im Körper, die wir Lymphknoten nennen. Wenn man diese Stellen reizt, fördert man die Ausscheidung von Abbauprodukten aus dem Körper, und auf den Fußsohlen – das ist eine Tatsache – gibt es eine ganze Reihe von Lymphknoten, deshalb geht man davon aus, daß die Reflexzonentherapie vor allem auf das Lymphsystem wirkt, und …«
    Jo’ela hatte sich jäh auf dem Behandlungstisch auf-gesetzt.
    »Einen Moment«, rief die Frau. »Nicht so plötzlich aufstehen. Sie machen das zum ersten Mal, nicht wahr?«
    »Mir ist schwindlig«, stellte Jo’ela erschrocken fest.
    »Legen Sie sich noch ein paar Minuten hin, das vergeht gleich wieder, das ist eine ganz normale Reaktion«, beruhigte sie die Frau. »Die Reflexzonentherapie sieht im Fuß einen wichtigen Gradmesser für die Gesundheit oder Krankheit des ganzen Systems, deshalb kann eine Erschütterung selbstverständlich …«
    »Was für eine Erschütterung?« murmelte Jo’ela, ausgestreckt auf dem Behandlungstisch liegend. »Wer redet von einer Erschütterung? Ein einfaches Schwindelgefühl.«
     
    Bis Abu Gösch sagte Jo’ela kein Wort und drehte auch nicht den Kopf. Hila betrachtete ihr hartes Profil. Ihr Gesicht war starr nach vorn gerichtet, und es gelang ihr anscheinend nur mühsam, die Augen offenzuhalten. Ihre zusammengepreßten Lippen drückten Unbehagen und Zweifel aus, die straff zurückgekämmten, von einem breiten Gummiband gehaltenen Haare betonten die slawischen Wangenknochen, die glatte Haut des Gesichts, die wie immer glänzte. Nur zeigte sie eine auffallende Blässe statt des üblichen Rosatons. Ihre langen Beine steckten in hellen Hosen, ihr großer, weißer Körper saß aufrecht und gespannt auf dem Fahrersitz. Erst an der Abfahrt nach Abu Gösch sagte sie: »Wenn ich mir Henia Horowitz’Fuß angeschaut hätte, ihre Zehen, sagen wir mal den kleinen, was meinst du, wie das Verhältnis ihres kleinen Zehs zum großen ist? Wie steht es bei ihr mit den Trieben?«
    »Wer kann das wissen? Alles, was wir denken, beruht auf einer Vorahnung«, erinnerte sie Hila. »Du hast ihr Gesicht und ihren Bauch und alles gesehen und ihre Füße nicht?«
    »Ich bin nicht auf die Idee gekommen. Ich habe sie noch nicht mal gebeten, die Schuhe auszuziehen, nicht einmal …«
     
    Das Schicksal des Menschen, vor allem einer Frau, ist vor dem Altwerden entschieden. Der Prozeß ist nicht aufzuhalten. Die Frage ist nur, ob sie zu den runden Alten gehören wird, zu den dicken, ob sich ihr Bauch vorwölbt wie eine Fortsetzung des Busens – auch diese Frauen schrumpfen auf eine seltsam verzerrte Art – und plötzlich unten am Rumpf aufhört, manchmal über dünnen Schenkeln, während sich bei anderen die Fülle fortsetzt, geschwollen bis zu den Knien, zuweilen sogar bis zu den Fesseln, und die Schenkel unter weiten Kleidern zittern, oder ob ihre Zukunft darin liegt, auszutrocknen und einzuschrumpfen, ob sie zu einem knorrigen Geschöpf wird mit einwärts gewölbter Brust. Roheit und Stumpfheit sind schuld daran, daß sich das Doppelkinn vergrößert. Erst verschwindet der Hals, und der Mund hängt über dem Busen. Von den wenigen Malen, die sie Rubi gefragt hatte – Alex hatte sie das nie gefragt, vielleicht aus Angst, allein die Frage könnte den Zauber brechen –, wie er sie sich als alte Frau vorstelle, wobei sie schnell hinzugefügt hatte, ob er meine, daß sie überhaupt alt werde, hatte er einmal, müde und ungeduldig, mit den Schultern gezuckt und, was sie nicht ohne Vergnügen hörte, gesagt, sie werde wohl alle begraben. Normalerweise sagte er allerdings das, was sie seiner Meinung nach hören wollte, nämlich: »Du wirst nie alt« oder »Sehr nett«.
    In den letzten Wochen vor ihrem Auszug hatte er die Augen verdreht, wenn sie ihm die Ergebnisse ihres fortgesetzten Studiums der Physiognomie alter Menschen im Vergleich zu ihrem

Weitere Kostenlose Bücher