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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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gezogen hatte, waren ihre Füße zu sehen, die in dicken, hellbraunen Wollstrümpfen steckten. Die Ärmel ihrer blauen Bluse hatte sie bis unter die Ellenbogen gekrempelt, ihr Zopf flog mit den Bewegungen des Wasserschlauchs nach links und nach rechts. In dem Planschbecken stand mit vorgewölbtem Bauch ein etwa zweijähriger Knirps. Er stampfte mit den Beinen, so daß das Wasser nach allen Seiten spritzte, auch auf das Gesicht und die Haare des Mädchens, und bog sich vor Lachen.
    Jo’ela betrachtete die Szene. Das einzige Glück, das uns erwartet, wächst aus Schmerz und Verzicht.
    Jo’ela überquerte mit langsamen Schritten den Rasen und betrat die Betonfläche. Der Kleine hörte auf zu lachen und starrte sie an. Das Mädchen drehte den Kopf, ihr Gesicht war rot, und ihr lachender Mund ließ sehr weiße Zähne sehen. Als sie Jo’ela erblickte, sprang sie plötzlich auf. Der erschrockene Ausdruck ihres Gesichts war noch vermischt mit Lachen, doch die Röte wich aus ihren Wangen. Mit offensichtlicher Angst blickte sie an Jo’ela vorbei, als suche sie den Rabbiner, der sie hergeführt haben könnte, dann zu dem Jungen, der noch immer zögernd im Wasser herumstampfte. Sein Gesicht wurde rot, und man sah ihm an, daß er kurz davor war zu weinen. Die Augen des jungen Mädchens, blau auf grauem Hintergrund, zogen sich zusammen, als bemühe sie sich, besser zu sehen. Der Mund des Jungen klappte auf. »Sind Sie nicht die Ärztin aus dem Krankenhaus?« fragte das Mädchen schließlich mit einer angenehmen Stimme, weder Sopran noch Alt, die fröhliche, klare Stimme eines jungen Mädchens. Sie wirkte nun verblüfft, eher mißtrauisch als ängstlich, und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Der Wind hatte sich gelegt, die Luft war noch sehr staubig. Jo’elas Kopf fühlte sich schwindlig und leicht an. Da war sie also, und sie hatte gesprochen. Hila hatte recht gehabt, sie war wie jeder andere Mensch auch. Mehr als andere war sie wie jeder andere Mensch auch. Der Junge bückte sich, schaukelte hin und her und fiel nach vorn und setzte sich laut platschend auf den Po. Seine Hände lagen auf dem Boden des Planschbeckens. Er nahm eine grüne Gummiente aus dem Wasser, biß hinein und warf sie dann zu dem Mädchen.
    »Ich bin Doktor Goldschmidt«, sagte Jo’ela.
    Das Mädchen blickte sich erschrocken um.
    »Ich bin allein hier«, sagte Jo’ela. »Ich habe niemanden mitgebracht. Ich … Ich wollte nur mit dir sprechen.«
    Das Mädchen warf die Gummiente vorsichtig zurück ins Wasser, der Kleine lachte, das Mädchen trat zum Rand des Planschbeckens. Jo’ela folgte ihr. »Es ist gefährlich, wenn man nicht aufpaßt«, erklärte das Mädchen. »In dem Alter können die Kinder noch leicht ertrinken.«
    Jo’ela nickte. Jedes Wort des Mädchens ließ die letzte Woche in einem grotesken Licht erscheinen. Als wisse das Mädchen alles. Was für eine Falle hatte sie sich selbst gestellt. »Man hat dich hierhergeschickt«, sagte Jo’ela schließlich. Denn alle anderen Wörter, die sie hätte benutzen können, wie: verjagen, verstecken, die Schande verbergen, die ihr ebenfalls durch den Kopf gingen, waren widerlegt. Eine leise Stimme in ihr pochte noch darauf, sie trotzdem auszusprechen, auch wenn sie dem Augenschein widersprachen, aber sie unterdrückte sie. Natürlich war das Mädchen blind gegen die Grausamkeit, mit der sie behandelt wurde, sie sah das anders. In ihren Augen war das eine Chance. Es würde kein geheimes Bündnis zwischen ihnen beiden geben. Wieder quetschte der Kleine die Gummiente, hob das dicke Ärmchen und warf sie mit aller Kraft auf das Mädchen. Die Ente traf die einwärts gezogene Brust, prallte ab und fiel seitlich zu Boden. Mit einem verlegenen Lächeln bückte sich das Mädchen, hob die Ente auf und warf sie ins Wasser zurück. »Er spielt«, sagte sie entschuldigend.
    Auf dem Rasen, nahe der betonierten Fläche, stand ein Gartenstuhl mit geflochtenem Sitz, darauf lag ein umgedrehtes Buch, der braune Einband mit den Goldbuchstaben nach oben. »Meine Eltern haben gemeint, daß es mich heilt«, erklärte Henia Horowitz, »von meiner Blutarmut.«
    »Du bist nicht blutarm«, sagte Jo’ela. »Die Untersuchung hat das ergeben.«
    »Weil ich doch so blaß war. Hier ist es ruhig. Der Rabbiner hat zu meinem Vater gesagt, das würde mir guttun.«
    »Und was ist mit der Schule?«
    »Es gibt hier eine Mädchenschule, dort gehe ich erstmal hin.«
    »Dir geht es hier gut«, sagte Jo’ela.
    Henia Horowitz senkte den

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