So habe ich es mir nicht vorgestellt
habe. Ich machte jede Untersuchung, die nur möglich war. Ich las alles, was bis dahin veröffentlicht worden war. Ich wurde Fachmann für Impotenz und beschäftigte mich unaufhörlich mit der Sache.«
Jo’ela lauschte dem Schaben ihrer Schuhe am Holz. Was würde sie tun, wenn er ihr jetzt mitteilte, er sei impotent, er sei impotent gewesen?
»Bis dahin ist alles in Ordnung. Doch obwohl nach einiger Zeit klar war, daß der Mann physisch gesund war und es für einen Arzt meines Fachgebiets keinen Grund gab, sich mit ihm zu beschäftigen, war ich so involviert, daß ich eines Abends, als er mir erzählte, er habe eine Verabredung mit einer Frau, die er liebte … Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls war ich extra in der Klinik, um ihm eine Spritze zu geben, damit er wenigstens an diesem Abend eine Erektion hätte. So involviert war ich.«
Jo’ela stieß einen langen Atemzug aus.
»Und das ist immer noch nicht schlimm, man könnte sagen: Ein guter Arzt, sogar ein guter Mensch.« Plötzlich lächelte er. »Und Sie brauchen nicht rot zu werden, Sie müssen jetzt nicht assoziieren und denken, ich hätte vielleicht selbst Potenzprobleme gehabt. Es geht nicht um einfache Parallelen. Auch in Ihrem Fall gibt es keine simple Erklärung, sie sieht nicht mal Ihrer Tochter ähnlich. Handelte es sich um eine Frau mittleren Alters, entschuldigen Sie, hätte ich kein Wort gesagt. Ich hätte Sie nicht bedrängt. Ich hätte mir höchstens ein paar Gedanken gemacht, aber ich hätte auf dieses Gespräch verzichtet.
»Die Pubertätsforschung habe ich schon vor fünf Jahren angefangen, und Sie haben mir gesagt … Sie haben es gewollt, es war überhaupt Ihre Idee …«
»Jo’ela, wirklich!« Sein Gesicht nahm einen müden Ausdruck an, als habe er entdeckt, daß er seine Zeit vergeudet hatte. »Ich versuche Ihnen doch zu helfen. Warum greifen Sie mich die ganze Zeit an? Um was geht es denn letztlich? Ich habe Ihnen doch selbst gesagt, daß es solche unverständlichen Dinge gibt, so wie mit diesem Mädchen. Ich verstehe es ja auch nicht. Und es ist gar nicht wichtig, ob Sie mir sagen, inwieweit Sie es selbst verstehen. Ich möchte nur, daß Sie wissen …« Er beobachtete, wie sie eine große Büroklammer nahm und sie unter einen Fingernagel schob. »Der Fall von Impotenz, von dem ich Ihnen erzählt habe, ließ mich nicht mehr los und bedrückte mich immer mehr. Erst nach einer ganzen Weile verstand ich, daß die Sache zu meinem eigenen Problem geworden war. Nicht, daß ich ihm groß geschadet hätte, aber Sie können sich nicht vorstellen, wie wütend ich war, als er eine Behandlung nicht machte, die ich vorgeschlagen hatte, und wie ich dem Psychiater, den ich für ihn aufgetrieben hatte, auf die Nerven ging und wieviel Kummer ich mir letztlich selbst bereitete, denn mehr, als das Kalb an der Kuh saugen will, will die Kuh das Kalb säugen. Das heißt, es ging um die Kluft zwischen meinem Impuls zu helfen, meinem eigenen Bedürfnis, hören Sie, meinem eigenen Bedürfnis zu helfen, und seiner Weigerung, sich helfen zu lassen. Dieser Mann damals ging einfach nicht zur Behandlung. Und wissen Sie was? Am Schluß kam alles in Ordnung. Er heiratete, zeugte Kinder und alles. Bis heute denke ich manchmal an ihn. Jahrelang habe ich seinen Lebensweg verfolgt. Ich wußte, daß ihm Kinder geboren wurden. Aber nie – und Sie wissen selbst, wie neugierig wir manchmal darauf sind, zu erfahren, was war, was sein wird –, nie können wir aus eigener Kraft eine Beziehung mit einem Patienten aufrechterhalten. Nie können wir die Initiative ergreifen und ihn fragen, wie es ihm geht.« Margaliot seufzte und lächelte plötzlich. »Und so weiß ich bis heute nicht, ob er noch impotent ist. Was will ich Ihnen damit sagen?« Seine Stimme nahm einen lehrerhaften Ton an, und sein Kopf neigte sich, als er sah, wie sich ihre Schultern hoben und senkten. Er seufzte. »Jo’ela, Sie waren schon immer ein Dickkopf. Doch was ich meine, ist: Zu einem bestimmten Zeitpunkt meiner Arbeit mußte ich entdecken, daß ich mehr wollte als mein Patient und daß die ganze Sache eigentlich mit etwas anderem zusammenhing.«
Jo’ela bog die Büroklammer auseinander. »Mit was?«
»Ich kann es nicht so genau sagen. Aber vielleicht wollte ich mich in eine Situation bringen, in der ich an meine Grenzen stieß. Mit dem Kopf gegen die Wand rennen, um etwas zu tun. So zu tun, als könnte ich alles. Auszuprobieren, ob ich es kann.«
Durch das große Fenster hinter seinem Rücken
Weitere Kostenlose Bücher