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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Beifahrersitz zu neigen und zu warten, bis er mit einer wilden Bewegung den Haufen Papier weggenommen und auf den Rücksitz geworfen hatte, und sich dann schwer auf den Sitz fallen zu lassen, unter dessen Bezug die defekten Federn der Polsterung zu erkennen waren. »Sie können ruhig drauftreten«, beruhigte er sie, als sie ihre Beine anzog, um nicht die Broschüren und die kurzen Streifen zu berühren, schwarze Plastikteile wie von Filmbändern, die unten vor dem Sitz verstreut lagen. »Kümmern Sie sich nicht darum.«
    Sie bemerkte seinen Ehering, der zwischen den Haaren auf seinen Fingern blitzte, Haare, die von den letzten Sonnenstrahlen rötlichweiß gefärbt wurden. Weil sie sich so schlaff fühlte, stützte sie sich mit der Hand auf der Fläche neben der Gangschaltung und schreckte plötzlich zurück, als er sie beim Anfahren mit dem Arm berührte. Sie nannte ihm ihre Adresse und wollte ihm erklären, wie er hinkam.
    »Ich kenne die Straße«, sagte er.
    Sie suchte nach einem Gesprächsthema. »Was … was tut man nun, wenn so etwas passiert ist?« fragte sie, als sie sich dem Tor des Krankenhausgeländes näherten.
    »Ich erinnere mich gut an das erste Mal, als ich dieses Geräusch gehört habe. Mir kam es damals so vor, als wäre alles aus. Man weiß ja nicht, wann es aufhört zu krachen. Leider wird man nicht immun dagegen, auch nicht beim zweiten Mal. Im Auto hört sich der Krach wirklich ziemlich schlimm an. Aber das geht vorbei. Nach einiger Zeit vergißt man es.«
    »Ich verstehe nicht, warum ich mich nicht umgeschaut habe.« Sie stellte sich ihre schwarze Tasche zwischen die Füße und hielt mit beiden Händen den braunen Umschlag fest, der auf ihren Knien lag. Darin befanden sich die Untersuchungsergebnisse des jungen Mädchens.
    »So ist es manchmal. Das muß man einfach akzeptieren. Ich kenne diese Überlegungen, wie man es hätte verhindern können. Im nachhinein kommt einem alles so dumm vor. Oder man fängt an, Theorien über Glück und Zufall zu entwickeln. Besonders ärgerlich ist, daß manchmal eine Sekunde, der Bruchteil einer Sekunde, gereicht hätte, und alles wäre anders.« Seine Stimme war jetzt weich und tief. »Man verläßt morgens das Haus, und das ist alles, was man sicher weiß – daß man morgens das Haus verlassen hat. Danach kann einem alles mögliche passieren. Man weiß nicht, wen man treffen wird und wann man wieder nach Hause kommt. Wie bei dem Spruch über Krankenhäuser: Man weiß, wann man reinkommt, aber nicht, wann man es wieder verläßt.«
    Eine dicke, kräftige Frau lief mit langen Schritten den schmalen Gehweg entlang. Jo’ela hatte das Gefühl, als spiele die Frau mit sich selbst das alte Kinderspiel und versuche, nicht auf die Ritzen zwischen den Pflastersteinen zu treten.
    »Sie arbeiten doch im Krankenhaus«, sagte der Mann. »Es wird Ihnen doch nicht schwerfallen, die Dinge in ihren richtigen Proportionen zu sehen.«
    Eine lange Autoreihe stand vor der Einfahrt zur Hauptstraße. Alle wissen, daß die Zeit rast, wenn man möchte, daß sie langsam vergeht, und daß sie kriecht, wenn sie schnell vergehen soll. Und niemand spricht über die Relativität der Zeit im Unbewußten. Wenn man nichts weiß, nicht weiß, was man will. Wenn man das Gefühl hat, einfach schnell nach Hause zu müssen, weil dort vielleicht Rettung zu erwarten ist, insgeheim aber weiß, daß sie vielleicht gar nicht kommen wird, oder im Gegenteil, daß die Last dort vielleicht noch größer wird, dann kann es sein, daß ein Verkehrsstau – ein kleiner Junge aus dem Auto vor ihnen schnitt eine Grimasse – die bekannte Gereiztheit hervorruft. Schon jetzt war klar, daß die Fahrt, für die man normalerweise fünf Minuten brauchte, sich in die Länge ziehen würde, und sie saß mit einem fremden Mann in einem Auto mit einem kaputten Scheinwerfer, an dessen Zustand sie schuld war. Bis sich der Stau auflöste, konnte er mit ihr sprechen. Er hätte genug Zeit, die Wand aus Höflichkeit zu durchbrechen und Dinge zu klären. Er gehörte zu dieser Art Männer. Einer, der redet. Seine Höflichkeit und der sanfte, freundliche Blick, mit dem er sie anschaute – was amüsierte ihn denn so? –, waren wirklich auffallend. Seine unerwartete Reaktion. Das Gesicht des jungen Mädchens tauchte wieder vor ihr auf. Schnell nach Hause, wo sie so früh ohnehin niemand erwartete. Über was für eine Kluft hatte Margaliot gesprochen, warum mußte jetzt ein Stau sein? Fast hätte sie laut gefragt: Was habe ich

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