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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Kupplung, drückte trotzdem auf das Gaspedal. Ist es ein Wunder, wenn man nicht hinschaut, wenn man nicht mal in den Seitenspiegel blickt, wenn man den Kopf nicht rückwärts dreht und sich verhält wie ein Cowboy in der Prärie – daß man plötzlich das Geräusch eines Aufpralls hört?
    Es war, als dehne sich der Moment lange aus, das Auto, die Luft, das hartnäckige Zwitschern eines Vogels, der erstarrte Körper, das Geräusch von splitterndem Glas, das wie eine Welle durch den schmalen Asphaltweg schwappte und nicht aufhörte, als breche das Glas immer weiter, auch nachdem das Auto stand. Das Echo des krachenden Blechs drang auf sie ein, schien ihren Körper wie leichte, klebrige Wellen zu umgeben und ihre Glieder zusammenzuhalten. Als es endlich still war, stellte sie erstaunt fest, daß sie ganz normal weiteratmete, trotz der Wellen von Übelkeit, daß sich nichts bewegte und daß in diesem großen Schweigen nur ein hartnäckiger Vogel mit seiner hellen, dünnen Stimme pfiff. Alles hielt inne, in vollkommenem Widerspruch zu der Bewegung der Welle, die anschwoll und zurückwich, so daß es dem Körper schien, als sei er allein die Realität.
    Unter der erfrorenen Haut, hinter den harten Muskeln des erstarrten Körpers hörte sie das Blut strömen und den Puls schlagen, und alles stand im Gegensatz zueinander. Der Unterleib war ein kaltes Loch, doch die Gesichtshaut brannte, und die Schläfen pochten. Die Welt war zerstört. Und daneben tanzte sie vor Fröhlichkeit, war lebhaft und hell und schloß alles ein, alle Einzelheiten, die Art, wie die Sonne den Asphalt vor der Frontscheibe in Licht tauchte und in eine glänzende Stoffbahn verwandelte, und den Gärtner, der herbeigerannt war und nun in einiger Entfernung stehenblieb, auf einen Spaten gestützt, den er vorher nicht in der Hand gehabt hatte, und mit offenem Mund herüberstarrte. Außer ihm befand sich niemand auf dem Parkplatz.
    Aber aus dem Auto neben ihr, schwer und grau wie ein Panzer, blickte sie das längliche Gesicht eines Mannes mit dicken Augenbrauen erschrocken an. Er stieg aus dem Auto. Ein ziemlich großgewachsener Mann mit ergrauenden Haaren, jungenhaft geschnitten, als habe man ihm einen Topf übergestülpt. Jo’ela blieb sitzen. Ihre Beine zitterten. Er machte den Mund auf, um etwas Zorniges zu sagen, aber sie senkte den Kopf und sagte: »Es tut mir leid, ich habe nicht aufgepaßt.« Mit einer Welle von Übelkeit stieg ihr die Erbsensuppe vom Mittagessen in die Kehle und drohte hervorzubrechen. Sie schluckte sie mit Mühe hinunter.
    »Man muß sich immer umschauen«, sagte der Mann.
    »Ja«, gab Jo’ela zu, »das muß man. Aber ich habe es nicht getan. Ich bin schuld.«
    »Was … was …«, ereiferte sich der Mann, und weil seine Forderungen sich schon erschöpft hatten, sagte er mit einem verzweifelten Vorwurf: »Man muß schauen.«
    Jo’ela hob die Hände vom Lenkrad und ließ sie zurückfallen, schlaff und kraftlos.
    Er betrachtete ihr Auto. »Ihr linker Kotflügel«, sagte er, »der hintere, und bei mir der Scheinwerfer. Ich habe geblinkt, ich war sicher, daß Sie mich sehen, und …«
    »Ich habe Sie nicht gesehen«, sagte Jo’ela. »Aber Ihnen ist nichts passiert.«
    »Was heißt da, nichts passiert?« Er verzog den Mund.
    Seine Unterlippe war voll, die obere dünner und schärfer konturiert. »Und was ist mit meinem Scheinwerfer?«
    »Na gut, ein Scheinwerfer«, sagte Jo’ela abschätzig und bedauerte es sofort. »Es tut mir leid, entschuldigen Sie.«
    »Man muß sich umschauen, bevor man vom Parkplatz wegfährt«, wiederholte der Mann, als wisse er sonst nichts zu sagen.
    »Gut, ich habe gesagt, daß es mir leid tut und daß ich schuld bin. Was soll ich jetzt machen? Mich auf die Knie werfen?«
    Der Mann öffnete den Mund, machte eine wütende Handbewegung und betrachtete sein Auto. Dann schaute er sie wieder an, lächelte und nahm die Sonnenbrille ab. »Besser wäre es, wenn Sie mir Ihre Personalien geben.«
    Jo’ela griff ins Handschuhfach und nahm die weiße Plastikhülle heraus, in der sich die Papiere befanden.
    »Hier«, sagte sie, »nehmen Sie, was Sie wollen. Ich habe keine Ahnung. Ich war noch nie in einen Un … noch nie in so etwas verwickelt.«
    Er riß ein Stück von einem zusammengefalteten Papier ab, das er aus einer Tasche seiner Jeans gezogen hatte, wühlte weiter und brachte einen Kugelschreiber zum Vorschein, einen Parker. Er biß sich auf die Lippe, während er, an die Autotür gelehnt, einige Zahlen aus

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