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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Haare und warf sich von einer Seite auf die andere. Der Morgenrock rutschte vom Stuhl.
    Herr Mu’alem lief mit kurzen Schritten von einer Wand zur anderen, berührte im Vorbeigehen die verschiedenen Geräte und hob den Blick zu den Operationslampen an der Decke. »Kann man das Zimmer hier in einen Operationsraum verwandeln?« fragte er plötzlich mißtrauisch und erschrocken.
    »Nur wenn es unbedingt nötig ist, aber es gibt immer einen einsatzbereiten Operationssaal unten«, erklärte Jo’ela und drehte am Verschluß der Infusion. »So, ab jetzt geht es schneller.«
    »Kein Dolantin«, warnte Herr Mu’alem.
    »Von mir aus auch Dolantin«, sagte seine Frau und brach in Weinen aus, »das ist jetzt schon egal. Ich möchte etwas gegen die Schmerzen, bitte geben Sie mir etwas.«
    Herr Mu’alem trat ans Bett und nahm die Hand seiner Frau. »Hältst du das wirklich für richtig?«
    »Es ist mir egal«, rief seine Frau und schüttelte seine Hand ab. »Ich kann nicht mehr.«
    »Lisi«, drängte Herr Mu’alem, »vielleicht lieber doch nicht, bei der ganzen Gefahr …«
    »Du weißt doch überhaupt nichts!« schrie seine Frau ihn an, und zu Jo’ela gewandt: »Sie haben keine Schmerzen.«
    »Ich habe nichts dagegen, den Narkosearzt zu rufen«, sagte Jo’ela sachlich. »Wirklich nichts.«
    »Es ist Ihnen doch ganz egal, daß es mir weh tut«, klagte Frau Mu’alem bitter.
    »Es ist mir nicht egal, aber es gehört nun mal dazu. Trotzdem weiß ich, daß Sie leiden.« Jo’ela versuchte, ihrer Stimme einen warmen Klang zu geben, aber sie hörte selbst, wie gezwungen es sich anhörte. Der Schmerz war nicht das Wichtigste, das Wichtigste war die Geburt, daß nichts passierte, wie sie ihren Studenten immer erklärte. »Alles andere ist selbstverständlich, die Menschlichkeit, das Erleichtern der Schmerzen, aber die Geburt darf nie gefährdet werden. Lassen Sie sich nie von den Schreien beeinflussen, sonst gibt es keine Grenze.«
    »Aber es ist nicht ungefährlich«, protestierte Herr Mu’alem.
    »Nur bei einem ganz geringen Prozentsatz kommt es zu einer Komplikation, und Doktor Goldmann ist wirklich gut.«
    »Es ist mir egal, er soll kommen! Er soll kommen! Unternehmt etwas!« flehte Frau Mu’alem.
    Jo’ela biß sich auf die Lippe, warf einen Blick auf die Infusion, auf den Bildschirm des Monitors, und ging hinaus, um den Narkosearzt zu rufen.
    Morgendliche Kühle herrschte in dem klimatisierten Flur. Der Kinderarzt hatte den Hörer in der Hand, sagte etwas und legte auf, als er sie näher kommen sah.
    »Es dauert dort wohl noch eine Weile, man hat dich zu früh gerufen«, sagte er und folgte ihren Bewegungen, als sie die Nummer des diensthabenden Narkosearztes wählte. »Was für eine Nacht!« sagte er. »Schon sieben Babys. Möchtest du einen Schluck Kaffee?« Er hielt ihr den Pappbecher mit der bitteren, lauwarmen Flüssigkeit hin.
    »Ich rufe Goldmann an«, erklärte sie ihm, »Goldmann, den Anästhesisten.«
    »Ach so, Goldmann.« Der Kinderarzt lächelte. »Goldmann um fünf Uhr morgens. Willst du dich nicht kämmen?«
    »Warum sollte ich mich kämmen?« fragte Jo’ela erstaunt.
    »Ihr seid doch immer … wenn er in der Nähe ist … vielleicht wird noch was draus …« Er blickte sie an und hörte auf zu lächeln. »Es war nur ein Witz, entschuldige.«
    Boris Goldmann kam mit leichten Schritten auf die Schwesterntheke zu, stützte sich darauf und schien genüßlich den scharfen Duft seines eigenen Rasierwassers einzuatmen. Die Hose seines weißen Anzugs strahlte vor Sauberkeit, und mit der Hand strich er über die Kunststoffplatte, streichelnd, tastend, als bedeute die Berührung etwas anderes. Hinter der Theke hob Jo’ela den leeren Pappbecher hoch und atmete tief den Kaffeegeruch ein. Sie hatte einen unangenehmen Geschmack im Mund und betrachtete die gelblichrötlichen Flecken auf ihrem Kittel. Es war ihr alles andere als angenehm, daß ihre Augenlider zuckten, als sie Goldmann mit einem Blick anschaute, von dem sie hoffte, er sei streng und sachlich. Er trat auf der anderen Seite der Theke näher. Sie wich zurück und beobachtete, wie er sie von oben bis unten vielsagend musterte. Schnell lief sie vor ihm zum Kreißsaal, wobei ihr bewußt war, daß sich eine große Laufmasche den Weg von ihrem Knöchel das Bein hinauf bahnte. Wer wollte um diese Uhrzeit mit Doktor Goldmann sprechen, wer hatte Lust, sich auf das Spiel einzulassen, das er nun, auf dem Weg zum Kreißsaal, bereits begann, indem er seinen Arm um ihre

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