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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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erinnerte sich noch genau, wie Frau Sakowitz, die Nachbarin, einmal gefragt hatte: »Wieviel?«, in der Hand ein Heft, in das sie jedes Wort schrieb, das die Mutter sagte, und in diesem Moment blieb ihre Hand in der Luft hängen, ihr Mund war geöffnet vor lauter hingebungsvoller Aufmerksamkeit, und dann fiel ihr Gesicht mit einem Mal zusammen, und das Leuchten in ihren Augen machte offener Enttäuschung Platz, als die Mutter verwirrt und verlegen geantwortet hatte: »Je nach Geschmack, jeder so, wie er es will.« Frau Sakowitz gab nicht nach. »Aber wieviel nehmen Sie?« drängte sie. Und die Mutter, die vorher von ihrem verstorbenen Mann erzählt hatte, der aus Lemberg stammte – dort mochten sie die Fische süßer –, senkte den Blick, dann hob sie nur die Augenbrauen und sagte zu Frau Sakowitz: »Wieviel man halt braucht.« Zu Jo’ela – und vielleicht auch zu sich selbst – sagte sie leise, nachdem Frau Sakowitz hinausgegangen war, daß manche Leute glaubten, es gäbe auf alles eine Antwort.
    Aus dem Wehenzimmer war ein Schrei zu hören. »Das Kind kommt!« meldete Monika und riß den Mund auf, als wolle sie schnell etwas Luft außerhalb des Zimmers schnappen, dann biß sie sich mit ihren kleinen, weißen Zähnen auf die volle Unterlippe. »Der Kopf ist schon draußen, wir müssen sie schnell in den Kreißsaal bringen«, rief sie, »das Bett hier taugt nichts.« Und schon zog sie ein Bett zur Tür, während Jo’ela versuchte, der Frau beim Umsteigen zu helfen. »Sie ist noch nicht mal rasiert …«
    »Jetzt! Jetzt!« rief die Frau, zog die Beine an und brüllte ein, zweimal auf, wobei sie aus aller Kraft preßte.
    Jo’ela riß das grüne Laken weg, um das Kind in Empfang zu nehmen, das herausglitt.
    »Wie der Korken von einer Champagnerflasche«, sagte Monika erstaunt.
    »Wir haben noch nicht mal einen Einlauf geschafft«, flüsterte die Frau und ließ, mit Tränen in den Augen, den Kopf auf das dicke Kissen sinken.
    »Ein Sohn«, sagte Jo’ela und klopfte ihm auf den Po, nachdem sie die Nabelschnur durchgeschnitten hatte. »Ruf Doktor Mazliach«, befahl sie Monika, die nach einem Blick auf den kleinen, bläulichen Körper aus dem Zimmer lief.
    »Ein prachtvoller Junge«, sagte Jo’ela zu der Frau. »Was haben Sie denn zu Hause?«
    »Drei Töchter und einen Sohn«, antwortete die Frau und lächelte, bevor sich ihr Gesicht wieder verzerrte. »Ich habe Wehen, bei mir kommt die Nachgeburt immer sehr schnell«, warnte sie.
    Jo’ela gab Monika den Jungen. »Sie können Ihre Kinder ganz allein auf die Welt bringen«, meinte sie lachend und kontrollierte die Nachgeburt. »Wunderbar. Nichts fehlt, alles ist in Ordnung.«
    Die Frau lächelte und rückte ihre Haube zurecht. »So ist es bei mir immer«, sagte sie und warf einen Blick auf die Araberin, die sich im Bett aufgesetzt hatte und das eingewickelte Baby auf Monikas Arm mit großen Augen anstarrte. Monika trat zu der Frau und beugte sich zu ihr hinunter. Die Frau murmelte etwas und lächelte scheu.
    Die junge Frau mit dem runden Gesicht schob den Wandschirm zur Seite, setzte sich auf, wickelte sich das Laken um den Bauch, schlüpfte in ihre großen Holzsandalen, ging zu Monika und legte einen Finger auf die Wange des Babys, streichelte es und murmelte der Frau mit der Haube ein »Herzlichen Glückwunsch« zu. Dann ging sie zurück und setzte sich auf den Rand des Bettes am Fenster. Sie fuhr sich mit der Hand über die kurzen Stoppeln auf ihrem Kopf. »Was ist los, Talia?« fragte Jo’ela, nachdem sie einen Blick auf die Patientenakte geworfen hatte. Die junge Frau zuckte mit den Schultern und gab keine Antwort. Sie senkte die Lider, und eine Träne rollte über ihre Wange bis fast zum Mundwinkel. Sie wischte sie mit demselben Finger weg, mit dem sie vorher die Wange des kleinen Jungen berührt hatte, und leckte sie dann ab. Sie hatte die Augen gesenkt, ihre Hände lagen auf ihrem dicken Bauch, zogen an dem weiten Hemd, und mit einem Finger berührte sie ihren herausstehenden Nabel, malte einen Kreis um ihn und ließ sich langsam, mit großer Zartheit, auf das gestreifte Laken sinken. Die kurzen Stoppeln auf ihrem Kopf verschwammen in den braunen Streifen des Kissens. »Kommen Sie, ich untersuche Sie. Manchmal hilft das schon, um die Geburt in Gang zu bringen«, sagte Jo’ela. Folgsam hob die Frau das Becken. Der Muttermund war tatsächlich noch geschlossen, trotz der Wehen. »Haben Sie jetzt eine Wehe?« fragte Jo’ela. Das Mädchen nickte mit

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