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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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eigentlich? Ist sie zurückgekommen?« fragte Jo’ela ruhig.
    »Keine Ahnung«, antwortete Mirjam.
    »Sie hat dich also nicht noch einmal belästigt«, sagte Jo’ela und ging schnell weg, um nicht noch mehr zu sagen. Etwas brannte ihr in der Kehle. Vor dem Wehenzimmer bat sie Monika, ab und zu bei Frau Mu’alem vorbeizuschauen und sie zu rufen, wenn es Fortschritte gab.
    Im letzten Zimmer der Wöchnerinnenstation, im Bett gleich neben der Tür, lag das Mädchen mit geschlossenen Augen. Die diensthabende Schwester, eine junge Frau mit dunklen, zu einem Knoten zusammengebundenen Haaren, ordentlich, wie auch ihre überaus saubere Tracht, und mit einem Gesicht, das Gelassenheit und Tüchtigkeit ausstrahlte, blickte Jo’ela freundlich an. »Sie ist in Ordnung. Seit vier Uhr schläft sie, trotz der Wehen. Ich habe ihr Valium gegeben.« Sie warf einen Blick auf die Uhr und fügte hinzu, daß ihr Dienst gleich vorbei sei und daß es gut wäre, wenn das Bett vor der großen Visite wieder frei wäre.
    »In Ordnung, vielleicht bekommt sie ja endlich ihr Kind«, sagte Jo’ela zerstreut.
    Die Schwester lachte. »Irgendwann bekommt sie es ganz bestimmt. Aber Sie sehen erschlagen aus. Haben Sie schon was getrunken? Seit wieviel Uhr sind Sie da? Und warum sind Sie überhaupt da?«
    »Eine Kreißende hat mich rufen lassen, privat«, sagte Jo’ela und trank den Kaffee, den ihr die Schwester, sie hieß Dina, brachte.
    »Und wo ist Awital? Er hat doch Dienst.«
    »Im Operationssaal«, antwortete Jo’ela leise und berührte die weiche Schulter Talia Levis, die sofort erwachte, sich mit der Hand über das Gesicht wischte und durch die Haare fuhr, bevor sie sich erschrocken aufsetzte und verschlafen stammelte: »Was denn? Was ist denn los?«
    »Kommen Sie, ich untersuche Sie noch einmal, bevor das morgendliche Durcheinander anfängt«, sagte Jo’ela und wartete geduldig, bis Talia Levi die Füße in die Holzsandalen geschoben hatte.
    Die Sandalen klapperten laut, als sie durch den langen Flur zum Wehenzimmer gingen. Die drei Betten waren leer, und auch im Flur wartete keine Schwangere, als hätten sich die Gesetze der Natur dem Schichtwechsel im Krankenhaus angepaßt. In einer halben Stunde fand er statt, und es würde nicht Mirjam sein, die der jungen Frau bei der Entbindung half, falls diese überhaupt bevorstand. Jo’ela hoffte inständig, daß es soweit war, damit Mirjam es noch erfuhr.
    »Zwei Finger breit«, verkündete Jo’ela mit offen gezeigter Befriedigung hinter dem Wandschirm im Wehenzimmer.
    Die junge Frau seufzte. »Was heißt das?« fragte sie verschlafen. Ihrem Gesicht waren die Spuren der Nacht nicht anzusehen.
    »Das heißt, daß die Geburt angefangen hat«, sagte Jo’ela fröhlich. »Daß Sie Ihr Kind bekommen. Möchten Sie nicht doch jemanden rufen, damit Sie nicht allein sind?«
    Das Mädchen richtete den Blick auf die graue Falte des Wandschirms und schüttelte langsam und hartnäckig den Kopf.
    »Wie Sie möchten«, meinte Jo’ela und ging hinaus, um Monika zu suchen, die im Hebammenzimmer vor einem Teller mit den Resten von belegten Broten saß, die Füße in den weichen, weißen Gummischuhen ausgestreckt, mit einem Gesicht, das außer den roten Flecken um ihre hellen Augen keine Farbe aufwies, sondern blaß bis zur Durchsichtigkeit war. Langsam, aber ohne Vorwurf, erhob sie sich und dehnte den Rücken auf dem Weg zum Wehenzimmer. »Soll ich ihr gleich einen Einlauf machen und sie rasieren?« fragte sie ergeben.
    »Das kann warten, bis du abgelöst wirst«, erklärte Jo’ela. »Es soll nur eingetragen werden, daß sie aufgenommen wurde, und sag Mirjam Bescheid, daß sie die Anweisungen zum Einlauf und zum Rasieren an die nächste Schicht weitergibt.«
    Monika nickte heftig und schüttelte ihre Arme.
    »Sie ist ganz allein«, bemerkte Jo’ela. »Vergewissere dich, daß man sie nicht einfach vergißt.«
    »Es ist gut«, versprach Monika. »Ich werde Mirjam daran erinnern.«
    Die Frauen auf der Station waren schon wach, die meisten hatten bereits gestillt. Im Speisesaal saßen drei Frauen, die gerade erst geboren hatten, um einen Tisch und lauschten der ausführlichen Beschreibung der Naht, die einer vierten das Sitzen schwer machte. Sie rutschte auf einem weichen Gummireifen herum und beschrieb mit dem Finger in der Luft die Form des Schnittes. Alle hörten interessiert zu und warteten darauf, daß sie mit dem Erzählen an die Reihe kamen. Im ersten Wöchnerinnenzimmer saßen zwei Frauen nebeneinander

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