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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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sie die Lehrerin verloren hatte, auch die magische Schönheit, die ihr nie nahe war – und es nie sein würde. Und es war ihr schon egal, ob die Lehrerin den aufgetrennten Saum sah und vielleicht auch die Wunde über dem Knöchel. Die Lehrerin machte die Tür auf, legte die Hand an den Hals, nahe am Kinn, und lächelte, als sie auf Wiedersehen sagte. Das Mädchen hörte, wie hinter ihr das Schloß einschnappte und der Schlüssel umgedreht wurde. Hätte sie genug Mut gehabt, wäre sie an der Tür stehengeblieben und hätte zugehört, was die beiden sagten. Aber sie gab auf. Ihre Hände umklammerten das Buch. Dabei hatte die Lehrerin auf der Elternversammlung zur Mutter gesagt, sie sei ein ganz besonderes Mädchen und habe viel Phantasie, und nun stellte sich heraus, daß das nichts bedeutete. Sie mußte schnell groß werden, sonst hatte sie keine Chance. Und Nemecsek, das wußte sie, war wirklich tot, und auch wenn sie das Buch von Anfang an lesen würde, könnte sie das nicht vergessen und so tun, als lebe er.
    Sie übersprang keine Treppenstufen. Langsam und mit schweren Schritten stieg sie die Treppe hinunter, den Blick auf die Wollstrümpfe geheftet, die ihr bis zu den Knien gingen. Wie sorgfältig sie sie vor dem Besuch hochgezogen hatte, damit sie sich nicht unordentlich über den braunen, hohen Schuhen rollten, deren Schnürsenkel gut zugebunden waren, mit einem Doppelknoten, um zu verhindern, daß sie aufgingen.

6. Es ist verboten, zu …
     
    Als Jo’ela schon an der Tür stand, auf dem Weg zum Viertel Me’a Sche’arim, klingelte das Telefon. Während sie noch überlegte, ob sie drinnen oder draußen war – wenn sie draußen stünde, würde sie nicht antworten, wer das Haus verläßt, geht nicht zurück, um den Telefonhörer abzunehmen; wer allerdings drinnen steht, die Hand auf der Klinke, kann es noch tun, soll es vielleicht auch –, sah sie sich schon selbst vor dem kleinen Spiegel im Flur stehen, unter dem auf einem Ablagebrett das Telefon stand, und den Hörer in die Hand nehmen.
    Eine angenehme, tiefe Männerstimme verlangte Doktor Goldschmidt zu sprechen. »Am Apparat«, sagte sie, zog vor dem Spiegel die Augenbrauen zusammen und glättete den Kragen ihrer Bluse.
    »Doktor Jo’ela Goldschmidt?« fragte die Stimme.
    »Ja, ja«, bestätigte sie ungeduldig.
    »Hier spricht Jo’el, der mit dem Auto, gestern …«
    »Ja, guten Tag«, sagte sie und senkte die Augen. Sie fürchtete, wenn er weiter über das Auto sprach, könne er verlangen, daß sie den Schaden bezahlte, nicht wegen des Geldes, sondern weil sie wußte, wie unbehaglich sie sich fühlen würde, wenn sich herausstellte, daß diese Nähe, die sie gespürt hatte, lediglich ihrer Einbildung entsprungen war oder wenigstens nur für jenen Moment gegolten hatte.
    »Sie haben einen braunen Umschlag bei mir im Auto vergessen.«
    »Ja. Danke, daß Sie anrufen«, sagte sie leichthin. »Ich habe versucht, Ihre Telefonnummer zu finden, aber es ist mir nicht gelungen. Sie haben eine Geheimnummer.«
    Er lachte. »Das stammt noch aus der Zeit, als ich den Film über die reuig zum Glauben Zurückkehrenden gemacht habe. Es gab damals ziemlich viel Theater, und ich habe es einfach noch nicht geschafft, das mit der Geheimnummer wieder zu ändern. Ich hätte Sie leichter gefunden, wenn Sie nicht gesagt hätten, Sie seien eine Krankenschwester. Als ich im Krankenhaus anrief und die Schwester Goldschmidt verlangte, sagte man mir, es gebe keine, es gebe nur Doktor Goldschmidt. Ich dachte zuerst, das sei Ihr Mann, bis ich es verstand. Warum haben Sie das gesagt?«
    »Keine Ahnung«, sagte Jo’ela leise, klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter und begann, den Knoten, der sich zwischen den Holzperlen in der dünnen Kette gebildet hatte, zu lösen. »Ich habe keine Erklärung dafür.«
    »Vielleicht hatten Sie, weil wir uns über den Film unterhalten haben, den ich plane, Angst, ich könnte Sie um Hilfe bitten«, schlug er vor. »Vielleicht war es Ihnen unangenehm.«
    »Vielleicht«, sagte Jo’ela flüchtig, »ich weiß es nicht.« Mit den Fingern malte sie Linien auf das Ablagebrett, um den Telefonapparat herum.
    »Ich würde mich jedenfalls gern mit Ihnen treffen«, sagte er, schnell, in einem Atemzug, wie jemand, der die Augen schließt, bevor er springt.
    »Wenn es wegen des Umschlags ist«, hörte sie sich erschrocken antworten, »brauchen wir uns nicht zu treffen, Sie können ihn irgendwo abgeben, im Krankenhaus oder bei mir zu Hause.«
    Auf der

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