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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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anderen Seite wurde es einen Moment still. Als erwöge er die Möglichkeiten. »Es ist nicht wegen des Umschlags«, sagte er schließlich.
    »Weshalb sonst? Wegen des Films, den Sie drehen möchten?«
    »Nein, es ist auch nicht wegen des Films«, sagte er langsam. Die klar ausgesprochenen Worte zeigten seine Entschlossenheit, doch die Langsamkeit deutete auf eine gewisse Schüchternheit hin.
    »Gut«, sagte sie und wunderte sich über sich selbst. »Wo? Wann?«
    »Das können Sie bestimmen.«
    »Wann?«
    »Geht es heute?« wollte er wissen.
    »Heute?« Jo’ela erschrak.
    »Der Umschlag«, meinte er entschuldigend. »Ich dachte, wenn Sie ihn dringend brauchen, würde das gut passen. Es lohnt sich nicht, es hinauszuschieben.« Er lachte.
    »Ich muß ohnehin gleich in die Stadt«, sagte sie und überlegte, daß sie sich wieder umziehen müßte, ohne daß ihr klar war, warum. »Wenn Sie mich heute treffen wollen, geht es in einer Stunde, in der Stadt, und wenn es nicht heute …«
    Wenn sie eine Stunde mit ihm verbrachte und dann nach Hause zurückfuhr, um sich umzuziehen, würde sie erst gegen Mittag ins Krankenhaus kommen, aber ihn so zu treffen – im Schottenrock, den sie von ganz hinten aus dem zweiten Fach ihres Kleiderschranks hervorgezogen hatte –, war ebenfalls unmöglich. Es blieb nur eins, mit dem Taxi in die Stadt zu fahren, mit einer großen Tüte, in die sie diese seltsamen Kleider gepackt hatte, und später zu überlegen, wo sie sich umziehen konnte. Denn so konnte sie ihn nicht treffen, im Schottenrock, der alten Bluse und dem ebenfalls alten Pullover. Sie hätte nicht zustimmen dürfen, aber die Erregung in der zögernden Stimme, der offen gezeigte Wunsch – das waren Dinge, über die sie jetzt besser nicht nachdachte. Was in ihren Ohren wie Hingezogensein klang, war vielleicht nur seine typische Art zu sprechen. Und was ihren plötzlichen Wunsch betraf, seine Stimme zu hören – seit wann hatte sie denn solche Bedürfnisse, falls hier von Bedürfnissen die Rede sein konnte –, lohnte es sich nicht, darüber nachzudenken, besonders jetzt nicht, während sie mit ungeschickten Fingern Kleiderbügel aus dem Schrank zerrte. Nichts war ihr recht. Das schwarze Kleid war zu festlich, zu einladend, man könnte eine Absicht dahinter vermuten. Auf dem Bett im Schlafzimmer lagen drei schwarze Röcke und zwei enge Kleider unter zwei Hosen, dazu Blusen, die mit dem Blumenmuster war zu durchsichtig, die weiße zu solide. Was wollte er? Sie betrachtete sich in dem großen Spiegel im schwarzen Hosenanzug. Dieser aufgeregte, verlangende Unterton paßte so gar nicht zu den zweiflerischen Überlegungen hinsichtlich der Kluft zwischen dem, was man sagte, und dem, was man tatsächlich wollte, und daß in diesem Fall das, was man tatsächlich wollte, vielleicht nur gute Beziehungen waren zum Zweck von Dokumentarfilmen. Ja, natürlich, mit absoluter Sicherheit, würde ihre Mutter sagen. Wie oft hatte sie sie vor den getarnten Interessen anderer Menschen gewarnt, die ganzen Jahre ihrer Kindheit und Jugend hindurch. Zum Beispiel hatte ihre Mutter immer die Gründe angezweifelt, die ihre Freundin dazu gebracht hatten, Jo’ela zu einem Frisörbesuch zu raten. »Sie ist doch nur neidisch, weil du schöne Haare hast«, hatte sie erklärt. Wie mit einem Messer hatten diese Worte jede mögliche Freude von vornherein zerschnitten. Der schwarze Anzug war eine Katastrophe. Wegen der schlaflosen Nacht hatte sie dunkle Ringe unter den Augen. Wer konnte sich überhaupt für ein so verschlossenes Gesicht interessieren, ein Gesicht mit zwei scharfen Falten neben dem Mund, einer Kerbe über der Oberlippe, die sie deutlich im Spiegel sah, und solchen kleinen Triefaugen. Ein andermal, hätte sie sagen sollen. Vielleicht sollte sie das Gummi herausnehmen und die ziemlich ausgebleichten Haare offen lassen, statt sie, wie sie es jetzt tat, zu einem Knoten zusammenzunehmen.
     
    Während der ganzen Fahrt war sie angespannt gewesen, hatte ängstlich die Zeiger der Uhr am Armaturenbrett des Taxis verfolgt, dem Fahrer, als der Wagen in einer langen Reihe vor der Ampel stand, alternative Fahrstrecken vorgeschlagen und sich über die Sorglosigkeit geärgert, mit der er in dem pfeifenden Radio nach einem anderen Sender gesucht hatte. Doch all ihre Befürchtungen einer Verspätung erwiesen sich als lächerlich, denn sie kam zehn Minuten vor dem verabredeten Termin an. In dem großen Park lief eine junge Kellnerin in einer weißen Bluse und einem

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