So hoch wie der Himmel
nichts wert war, wenn man die Menschen dort nicht liebevoll empfing.
Die Kinder, Master Joshua und Missy Laura, hatten eine Kinderfrau gehabt, der ihrerseits eine willige Helferin zur Seite stand. Trotzdem hatten ihre Eltern sie meistens selbst versorgt. Ann hatte immer bewundert, mit welcher Hingabe, Disziplin und Fürsorge die Templetons ihren Kindern begegneten. In diesem Haus hatte man den Reichtum niemals über die Liebe zu den anderen gestellt.
Es war Mrs. Templetons Vorschlag gewesen, die gleichaltrigen Mädchen zusammen spielen zu lassen. Joshua hatte als Junge und mit seinen vier Jahren Vorsprung nie viel Zeit für sie gehabt.
Ann würde Mrs. Templeton auf ewig dankbar sein, nicht nur, weil sie ihr eine Stelle und beständige Freundlichkeit geboten hatte, sondern weil sie ihrer Tochter nie wie einem Kind vom Personal, sondern immer wie der geliebten Freundin der Tochter des Hauses begegnet war.
Nach zehn Jahren hatte man Ann zur Wirtschafterin ernannt. Sie hatte es verdient und war stolz darauf. Es gab keine Ecke in dem großen Gebäude, die nicht mit eigenen Händen von ihr gesäubert, kein Stück Wäsche, das nicht persönlich von ihr gewaschen worden war. Ihre Liebe zu Templeton House hatte sich ihr tief und dauerhaft eingeprägt. Tiefer und dauerhafter vielleicht sogar als irgend etwas anderes.
Sie blieb auch, als die Templetons nach Cannes übersiedelten – Miss Laura hatte, wie Ann fand, zu schnell und überstürzt geheiratet – und ihre eigene Tochter war, auf der Jagd nach Glitzer und Glimmer, erst nach Hollywood und dann nach Europa gegangen.
Niemals hätte sie ein zweites Mal geheiratet, ja nicht einmal im Traum. Templeton House genügte ihr. Es stand Jahr für Jahr ebenso unerschütterlich wie der Felsen da, auf dem es errichtet worden war. Es enttäuschte sie nicht, stellte niemals in Frage, was sie tat. Es bereitete ihr keinen Schmerz und bat sie nie um mehr, als sie zu geben in der Lage war.
Anders als eine Tochter, dachte sie.
Während draußen der Sturm den Regen gegen die großen Rundbogenfenster peitschte, sah sie sich in der Küche um. Die stahlblauen Arbeitsflächen waren makellos, und sie nickte, weil ihr der Eifer des jungen neuen Mädchens sehr zusagte. Da die Kleine bereits nach Hause gegangen war, sah sie das anerkennende Nicken nicht; aber Ann würde daran denken, sie gleich morgen früh ordentlich zu loben.
Wieviel leichter verdiente man sich doch den Respekt einer Angestellten als den des eigenen Kindes, überlegte sie. Im Grunde war Margo bereits am Tag ihrer Geburt für sie verloren gewesen mit ihrer Schönheit, Rastlosigkeit, Kühnheit.
So sehr sie sich auch um die Tochter grämte, hatte sie nach dem ersten Schrecken stoisch weiter ihre Pflicht erfüllt. Sie konnte nicht das geringste für das Mädchen tun. Voller Verbitterung hatte sie erkannt, dass sie noch nie für ihr Kind etwas tun konnte.
Liebe hatte nicht genügt. Obwohl sie Margo vielleicht niemals mit genügend Liebe begegnet war. Nur hatte sie einfach Angst davor gehabt, dem Mädchen zuviel zu geben, denn dann hätte es vielleicht immer mehr gefordert.
Außerdem war sie kein Mensch, der seine Gefühle nach außen trug, argumentierte Ann weiter. Als Dienstbote hielt man sich besser stets zurück, egal, wie freundlich der Arbeitgeber war. Sie wusste, wo sie in der Gesellschaft hingehörte. Weshalb nur hatte Margo nie ihren Platz im Leben erkannt?
Einen Moment lang lehnte sie sich an den Tisch und gab ihren Gefühlen nach. Hinter ihren Augen stiegen Tränen auf, doch sie drängte sie zurück. Für Gedanken über die Verlorene war jetzt nicht der rechte Augenblick. Das Mädchen hatte sich damals bewußt davongeschlichen, und am besten machte sie ihre letzte Runde durch das Haus.
Tapfer richtete sie sich auf und atmete kräftig durch. Der Boden war frisch gewischt, und auch der Ofen, ein alter Herd mit sechs Platten, zeigte nicht die geringsten Spuren des Essens, das ständig auf ihm zubereitet wurde. Außerdem hatte die junge Jenny den Narzissenstrauß, der leuchtend gelb in der Mitte des Tisches stand, umsichtig in frisches Wasser gestellt.
Froh, dass das neue Mädchen tatsächlich so gutwillig wie vermutet war, wandte sich Ann den Kräutertöpfen auf dem Fensterbrett über der Spüle zu. Ein Daumendruck zeigte ihr, dass die Erde trocken war. Die Kräuter zu gießen gehörte nicht zu Jennys Aufgaben, dachte sie und schnalzte mit der Zunge, während sie es selber tat. Diese Arbeit fiel der Köchin zu.
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