So kam der Mensch auf den Hund
wie dies bei den Worten der menschlichen Sprache der Fall ist, sondern durch
angeborene,
»instinktmäßige« Normen des Agierens und Reagierens. Die gesamte »Sprache« einer Tierart ist daher unvergleichlich konservativer,
ihre »Sitten und Gebräuche« sind gleichzeitig viel starrer und
bindender
als die des Menschen. Man könnte ein ganzes Buch über die unverbrüchlichen Gesetze schreiben, von denen das Zeremoniell der
Hunde beherrscht wird und die das Verhalten stärkerer und schwächerer, männlicher und weiblicher Hunde bestimmen. Äußerlich
gesehen, wirken diese im Erbbilde des Hundes verankerten Gesetze ähnlich den Regeln überkommener menschlicher Sitten. Auch
in ihren Auswirkungen auf das soziale Leben, in ihren lebenswichtigen Funktionen, gleichen sie diesen weitgehend. Im Sinne
dieser Analogie ist also die Kapitelüberschrift zu verstehen.
Nichts ist langweiliger als eine abstrakte Darstellung von Gesetzen, mögen sie auch noch so interessant sein. Ich will daher
mit meiner Schilderung völlig im Konkreten bleiben und an einigen Beispielen die lebendige Auswirkung der sozialen |37| Gesetzlichkeiten des Hundelebens so darzustellen versuchen, daß der Leser selbst, ohne es zu merken, zur Abstraktion der herrschenden
Gesetze gelangt. Ich wende mich dabei zuerst den Verhaltensweisen der
Rangordnung
zu, den uralten Sitten und Gebräuchen, die soziale Über- und Unterordnung nicht nur ausdrücken, sondern auch weitgehend
bestimmen.
Betrachten wir also eine Reihe Hundebegegnungen, wie sie jeder Leser wohl schon oft gesehen hat.
Wolf II. und ich gehen die Dorfstraße hinunter. Als wir am Gemeindebrunnen in die Landstraße einbiegen, sehen wir, gut zweihundert
Meter entfernt, Wolfs langjährigen Feind und Rivalen Rolf auf der Straße stehen. Wir müssen unmittelbar an ihm vorbei, die
Begegnung ist unvermeidlich. Die beiden sind die stärksten und am meisten gefürchteten, kurz, die rangältesten Hunde des Ortes;
sie hassen einander wütend, fürchten sich aber gleichzeitig voreinander so weit, daß sie, soviel ich weiß, noch nie wirklich
miteinander gerauft haben. Vom ersten Augenblick an hat man den Eindruck, daß die Begegnung beiden Teilen höchst unangenehm
ist. Im Garten des Hauses eingesperrt, hinter Zaun und verschlossenem Tor, würden beide wütend bellen und drohen, jeder überzeugt,
daß nur das Gitter ihn hindere, dem anderen an die Gurgel zu springen. Nun aber, im Freien, mag es sich, stark vermenschlicht
ausgedrückt, etwa so verhalten: Jeder der beiden Rüden empfindet dunkel, er sei es jetzt seinem »Prestige« schuldig, die früheren
Drohungen wahrzumachen, und es sei eine »Blamage«, dies nicht zu tun.
Die beiden Feinde haben einander natürlich schon von weitem gesehen. Sie gehen sofort in »Imponierstellung«, das heißt, sie
richten sich hoch auf und heben die Ruten lotrecht in die Höhe. So nähern sich die beiden, immer langsamer und langsamer.
Als nur noch etwa fünfzehn Meter sie trennen, legt sich Rolf plötzlich in die Stellung eines lauernden Tigers nieder. In keinem
der Hundegesichter merkt man ein Zeichen der Unsicherheit, aber auch keines der Drohung. Stirn und Nasen sind nicht gerunzelt,
die Ohren stehen steil und nach vorne gewandt, die Augen sind weit offen. Wolf reagiert auf |38| die Lauerstellung Rolfs in keiner Weise, so bedrohlich diese auch auf den Menschen wirkt, sondern schreitet unbeeinflußt auf
den Rivalen zu. Erst als er dicht neben ihm steht, erhebt sich Rolf ruckartig zu seiner vollen Größe, und nun stehen beide
Flanke an Flanke und Kopf an Schwanz und beriechen einander die frei dargebotene Hinterregion. Gerade dieses freie Darbieten
der Analgegend ist der Audruck der Selbstsicherheit. Sowie sie auch nur um ein geringes schwindet, senkt sich der Schwanz.
Man kann an seiner Stellung wie an einem Zeiger den Stand des Mutes ablesen, der den Hund beseelt.
Die gespannte Situation, in der die beiden Rüden unbeweglich stehen, dauert ziemlich lange. Allmählich beginnen die vorher
glatten Gesichter sich zu verziehen: Auf der Stirne entstehen Längs- und Querfalten in Richtung nach einem über den Augen
gelegenen Punkt, die Nase wird gerunzelt, die Zähne liegen bloß. Diese Mimik bedeutet Drohung schlechthin, auch ein Hund,
der Furcht hat und, etwa in die Enge getrieben, nur aus Abwehr droht, zeigt sie. Der Grad des Mutes und der Beherrschung der
Situation drückt sich nur an zwei Stellen des Kopfes aus: an
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